Christoph Sanders, Thalheim

Das Wichtigste zuerst: Dorndorf hat ein Duell ausgerufen: Unterdorf gegen Oberdorf. Blau gegen Rot. Die Häuser der Ortsteile werden nachts von LEDs angestrahlt: Unterdorf blau, Oberdorf rot. Oberdorf hat als Logo ein rotes D entwickelt und es an mehreren Stellen im Ort aufgebaut. Über der Straße schweben farbige Regenschirme. Lokalstpatriotismus. Obwohl unsere Verbandsgemeinde Dornburg heißt, hat jeder Ortsteil seine eigene Fußballmannschaft. Außer wir in Thalheim, das als erstes von der Demografie eingeholt wurde und nun den nicht mehr genutzten Trainingsplatz an Rojkurd Merenberg vermietet. Am Mittwoch spielte Dorndorf II auswärts gegen die SG Taunus – da wurde das Rot-Blau-Duell ausgesetzt und 90 Minuten nicht so sehr auf Unter- oder Oberdorf geachtet. Zum ersten Mal lief unser Sohn mit auf – das Spiel endete 1:1. Anschließend gab es im Taunusdorf eine Lage Bier. Bei alledem gilt: Lieber tot als Wilsenroth!

Der Montag regnerisch und windig mit gelegentlichen Streiflichtern.
Auf dem Familenwunschzettel steht eine Bolognese. Ich koche sie, obwohl ich sehr erschöpft bin. Leider hat die Bio Rote Beete über die Monate stark an Aroma verloren – da stimmt was nicht! Um die 6 Grad draußen, im Haus aber warm. Lese voller Genuss die zweite Hälfte von Michel Houellebecqs „Soumission“. Besonders spannend die Stelle, wo der Autor die Quelle für den Niedergang des Westens benennt: eine entseelte und ausgehöhlte Gesellschaft, die nur dem Namen nach noch christlich ist, deren Religion als Zombie umherirrt. So hat es eins zu eins auch Emmanuel Todd beschrieben. Laut Yuval Harari gibt es viele „Ersatzreligionen“, die den Platz eingenommen haben, beispielsweise der Konsumismus und der Tourismus. Das Problem: Diese Surrogate haben keinerlei transzendente Perspektive und beantworten somit die wichtigsten Fragen des Lebens nicht.

Die Vogelpest (wie viele Medien es nennen) hat nun Niedersachsen erreicht – und damit Wiesenhof und seine idyllischen Betriebe unter Fachwerkfassaden. Im Deutschlandfunk ein sehr gutes Interview mit dem Laborleiter am Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit auf Riems: Die Kraniche kehren zum Teil um, wenn sie tote Artgenossen an den Seen vorfinden. Die größte Kranichsterben fand 2021 im Norden Israels statt – Hauptursache dafür war der internationale Geflügelhandel, der eine schnelle Verbreitung des Virus ermöglichte. Der tiefere Ursprung liegt in den unkontrollierten Exporten aus Asien, wo H5N1 in den 1990er Jahren erstmals als hochpathogener Stamm identifiziert wurde. Jetzt wird die Weihnachtsgans teurer.

Auch der Dienstag grau, nass, kühl. Deutscher Herbst. Bin leidlich fit, die Pause gestern war genau richtig. Kurzrunde in Wollklamotten. Bei den Radausstattern spielt Wolle übrigens so gut wie keine Rolle -maximal 30% Anteil in den Socken, was lächerlich ist. (Und was sagt das eigentlich über unsere Welt aus, wenn Schafwolle mitunter als Dünger verkauft wird?) In einem Karton ein Jahreszeiten-Quartett aus den fünfziger Jahren gefunden. Unter den Bildern Leerfelder mit handschriftlichen Einträgen – offenbar eine Übung für Schulkinder. Beschreibung von Naturereignissen: Frau Nebel spinnt ihr Gewand (Der November). In unserem Garten weiter kleine rote Äpfel zuhauf.

Bei Gogol reitet das Dutzend Kosaken gerade durch „Neurußland“ – eine Steppe, die sich bis ans Schwarze Meer erstreckt. In der Nacht verwandeln Glühwürmchen alles in ein Meer von Leuchtpunkten, die Blumen strömen ihr Amber aus. Man schläft unter freiem Himmel, es wird von Brot und Speck gezehrt. Branntwein gibt es nur in Maßen, hohle Kürbisse dienen dabei als Gefäß. Idealisiert, sicher, aber auch wahr. Auch in unserer Familie spielt ein riesiger Kürbis eine Rolle – Halloween rückt näher. Morgen wird er ausgehöhlt, Kostümfest dann am Freitag. Das Familienauto zur Achsvermessung gebracht, neue Federn machten das nötig. Fabelhaft, wie nützlich dieser Wagen ist. Am Abend sehen wir gemeinsam das schöne Pokalspiel Frankfurt gegen Dortmund – die Jüngste wird allmählich maskulin sozialisiert. Der Austausch-Teenie kommt in 32 Tagen wieder (außer, sie hat inzwischen einen Franzosen geheiratet) – ihre Sprödigkeit fehlt hier.

Am Mittwoch nach intensivem Dauerregen sehr schöne Nebelbänke, milde und windstill. Ich nutze die Lage und fülle einen weiteren Korb mit Äpfeln. Die Regionalbahn hat einen neuen Triebwagen, die Kids berichten von besseren Sitzen, dem leiseren Lauf, der Sauberkeit.

Kurioses H5N1-Ge-Eier auf allen Kanälen. Bund und Länder haben ihr Pingpong begonnen. Wer soll nun sein Geflügel wo hin tun? Keiner weiß es. Interessant, wie schnell die Agrarminsterien mit einer Erhöhung der Entschädigungspauschale gewunken haben – ich frag mal meinen Agrarökonom-Bruder, der sich mit den juristischen Belangen in diesen Dingen auskennt. Gegen die Vogelgrippe steht inzwischen ein erprobter Impfstoff zur Verfügung, der in Frankreich verpflichtend bei Enten eingesetzt wird. Nach der großen Seuche von 2023, bei der europaweit zig Millionen Tiere verendeten oder gekeult wurden, will man dort kein Risiko mehr eingehen – mit Erfolg: In den Beständen sind seither kaum noch Ausbrüche aufgetreten. In Deutschland verzichtet man auf die Injektion: Masthähnchen leben im Schnitt nur 40 Tage, Mastenten rund 55 Tage und Mastputen ca. 16 Wochen – da „lohnt“ sich der Aufwand aus Sicht der Industrie kaum. Außerdem akzeptieren viele Handelspartner in Asien und innerhalb der EU Geflügelprodukte aus geimpften Herkünften nur sehr eingeschränkt, was den Export erheblich erschweren würde.

Die innere Umstellung auf Normalzeit wurde nun von mir bewältigt. Ansonsten immer noch komplett platt – ein mieses Körpergefühl.

