Christoph Sanders, Thalheim

Samstag war ich nur zwei Stunden mit der Radgruppe unterwegs: Nach einem derben Schauer, der mich innerhalb einer Viertelstunde vollkommen durchnässte, brach ich unsere Tour ab und fuhr, heftig frierend, zurück. Die letzten kleinen Anstiege kamen mir so lang vor wie noch nie, die Beine waren komplett leer. Der Reizhusten brachte reichlich Auswurf auf die Straße. Ich war froh, heimzukehren. Jetzt heißt es Auskurieren und das Immunsystems stärken. Leider hat sich der Magendruck verstärkt, also ist auch Schonkost angesagt. Im Laufe des Tages fülle ich hustend um die zwanzig Taschentücher. Bei Tee und Knäckebrot Dauerhunger, dementsprechende Laune.

Am Sonntag viel geschlafen und wieder ein Stück gesünder. Um 8:30 Uhr Frühstück mit dem SWR-Interview eines Uniprofessors, der Deutschlehrer ausbildet: Die Leseschwäche ufert in Deutschland weiter aus – 30% der Erwachsenen schaffen es nicht mehr, einen längeren Zeitungsartikel zu lesen. Dazu kommt das Phänomen der Geschichtsvergessenheit – alles VOR dem Internetzeitalter ist eine weiße Landkarte; mit der Aufmerksamkeitsverschiebung wird auch die Gesellschaftsverschiebung kommen. Irgendwie bin ich froh, dass alle meine Kinder die Lesehürde genommen haben – besonders die Jüngste verlangt nach „erwachseneren“ Texten. Nach der Sendung spiele ich mit ihr Scrabble, um anschließend neunzig Minuten durch die Felder und Wiesen zu spazieren. Auch der Bluterguss wandert – sehr starke Schmerzen in der Unfallschulter. Es gelingt mir trotzdem, unseren Hasen das Löwenzahnsonntagsmahl zu zupfen. Meine Frau ist coronapositiv – das erspart mir den eigenen Test. Mit Reis, Roter Beete und Kamille wird der Bauch besänftigt. Stühlerücken für den Wischsaugroboter, der für eine Stunde das Erdgeschoß okkupiert.

Ich unterhalte mich mit meinem Sohn noch einmal über einen seiner Freunde, der damit Geld verdient, den Kleidungsstil von Rappern zu analysieren, zum Beispiel herausfindet, was auf einem T-Shirt mit chinesischem Geldschein steht. Das honorieren dann fünfhundert zahlende Twittergäste. Ich hingegen würdige die Bilder der Mitfahrer meiner abgebrochenen Tour: eine schöne, später vor allem trockene Fahrt. Von meiner Streckenwahl waren sie sehr angetan – ich hatte ihr den Namen „Westerwald Lithium – zu den seltenen Erden des Westerwalds“ gegeben. Gute Siesta nach nur zwei Seiten „Antibes“ von Jünger. Bei ihm ist immer etwas dabei – diesmal die ausgiebige Beschreibung des Fischmarkts und der Expertisen an frischem Fisch („die Augen müssen noch lebendig wirken“). Das durch und durch positive Verhältnis zur Materie – es war die Zeit vor der Kühlkette. Bei Nabokov die große, ultrakurze Passage über die Poesie einer Flugzeugspur am Abendhimmel. 1960 – Beginn des Jetztzeitalters.

Der Montag windig und von Schauern durchsetzt. Herbst. Der Kaffee schmeckt fabelhaft und bereitet keinerlei Probleme. Mein Körper bekommt gerade die Covid-Kurve: Mehr als neun Stunden Schlaf, die Nase wird langsam frei, keine Hustenattacken mehr, der Schleim löst sich. Immer dick eingepackt – gerade nachts. Der Magen bleibt ruhig, das Drücken ist weg. Die Diät: Tee, kaum Fett, nur noch Quark und Joghurt, Reis mit Rettich, Salat mit Essig (ohne Öl). In der FAZ wird eine Studie zitiert, nach der sich 26,6 Prozent der Deutschen unter fünfzig in den letzten zwei Jahren Geld borgten, um dafür Lebensmittel zu kaufen. Ich beobachte dabei eine völlig absurde, absolut unbegründete Scham, auszusprechen: „Ich kann mir kein Nutella mehr leisten.“ Bitter. Zum Mittag Lachs und Fenchel – meine Zwölfjährige ist begeistert. Am Nachmittag Abholung und Aufbau der titanischen Boxen des Pathologen, die nun in der Wohn/Ess/Kochhalle des dankbaren Mannes stehen. Als wir sehr laut Sade hören und er dabei zu schunkeln anfängt, geht mir noch einmal auf: Der sucht keine feine Musik, der braucht Entspannung. Selbst im Hifi-Laden hatte er seine Dienstkleidung an: Ein Arzt-Polohemd mit vollem Titel, Rang und Namen.
