Helko Reschitzki, Moabit

Seit einer Woche, je nach Wolkenformation, immer wieder neues und außergewöhnliches Licht: hartkantig schattiert, als befände man sich in einem Expressionistenfilm; weichgezeichnet wie die Erotikstreifen der 70er; so, als hätten Monet und Pissarro nach einer gemeinsamen Bahnfahrt durch die Provence zusammen ein Bild gemalt … Gerhard-Richter-graue Himmel; die Moabiter Watteblumenkohlkopfparade …

… und am Samstag dann so, als würde eines dieser riesigen Stroh-Sand-Asche-Blei-Bilder Anselm Kiefers über mir zusammenbrechen:
Ich gerate am Schlachtensee von einem sehr starken Regen in einen Starkregen. Jeglicher Baumschutz geht sofort verloren, innerhalb weniger Minuten bin ich bis auf die Unterwäsche durchnässt. (Wie ich später feststelle, ist sogar die Tinte in meinem tief im Rucksack vergrabenen Notizbuch verschwommen.) Kleine Bäche strömen von überall her in den See, breiten sich dort wie braun-schwarze Cirrus fibratus aus. Damit ich nicht auskühle, setze ich mich in Bewegung. Treffe kaum Menschen. Die Farben und die Formen, durch die ich langschrittig schuhschmatze, sind zeitentrückt wie Höhlenmalerei.

Irgendwann zerbricht mein Schirm. Zum Glück bin ich da bereits in der Nähe eines konsumistisch erschlossenen Gebiets und kann mir so in einem Drogeriemarkt umgehend einen neuen kaufen. Das ist ja der coole Teil des Kapitalismus – wenn etwas kaputt geht, ist es in der Regel schnell zu ersetzen. Ich bedanke mich bei meinem alten Begleiter – und werfe ihn in den Müll. (In dem Land, in dem ich die ersten zweiundzwanzig Jahre meines Lebens verbrachte, hätte man jetzt aus den Speichen und Stoffresten eine Hollywoodschaukel für Nutrias gebaut.) Zuhause gehts in die Wanne. Der Regen schwächt ab, hört auf, ab und an dann wieder Schauer. Am Sonntag ist kaum noch etwas zu sehen vom Unwetter, der See so klar wie gewohnt.

Und ansonsten?

… kann ich erstmalig in aller Ruhe und aus allernächster Nähe ein Mandarinententenjunges beobachten. Das kommt mitsamt seiner Mutter direkt vor meine Buchtbank geschwommen, wo sich dann beide auf einem Stapel abgesägter Äste in der Sonne putzen …

… ist einer der Kormorane zum alten Baumstamm zurückgekehrt …

… fasziniert mich am Dienstag ein tiefdunkler Schlachtensee. Wie ein Mitschwimmer erzählt, hatte es in der zweiten Nachthälfte heftig geregnet. Die Niederschlagswucht spülte die vom samstäglichen Starkregen freigelegte Muttererde in den See, die sich dort auf dem Grund absetzte und alles schwarz aussehen lässt. Das Wasser ist dabei klar wie immer. So etwa habe ich noch nie zuvor gesehen …

… schaue ich die finale Staffel von THE 100 zuende. Die dreizehn letzten Überlebenden der Ausgesetzten müssen sich entscheiden, ob sie als Menschen auf der Erde weiterleben oder in eine nicht-körperliche, unsterbliche Existenzform transzendieren wollen. Alle entscheiden sich fürs Menschsein. Hund Picasso kläfft vor Freude.
