Christoph Sanders, Thalheim
Reden wir über die kleine, hübsche Stadt Diez im Rhein-Lahn-Kreis, die an Limburg an der Lahn grenzt – zwei Städte, die ineinander übergehen. Die eine Stadt gehört zu Rheinland-Pfalz, die andere zu Hessen. Diez hat ungefähr 11.000 Einwohner und liegt dort, wo die Aar in die Lahn mündet. Rheinisches Schiefergebirge zwischen Taunus und Westerwald. Erste Besiedlung in der Altsteinzeit.
Ich kaufe gern in Diez ein – der Fleischer ist ausgezeichnet, der gute Haushaltswarenladen fest in Familienhand und mein Antiktrödler versorgt mich regelmäßig mit Luxusgütern zu fairen Preisen.

Seit wir vor zwölf Jahren in die Gegend zogen, hat sich in Diez einiges verändert. Viele Geschäfte haben dichtgemacht, was nicht zuletzt am rasant zunehmenden Onlinehandel liegen dürfte. Ein großer Rewe-Markt wurde errichtet.
Es verschwanden:
– ein Juwelier und Uhrenhändler
– ein Orthopäde
– ein Drogeriemarkt
– eine Commerzbank
– eine Postbank mit Postfiliale
– zwei Fahrradläden
– eine Eismanufaktur
– ein Druck- und Kopierladen
– ein Bäcker
– ein Elektro- und Haushaltswarenladen
– ein Laden für Modellbau, der sich auf Flugzeuge spezialisiert hatte
– ein Fernseh- und Elektrotechniker mit Ladengeschäft
– zwei Schuhläden (von dem einen schied der Eigentümer danach freiwillig aus dem Leben)
Desweiteren brannte ein Kleidungsgeschäft nieder.
Leerstand geschätzt 40 %. In den aufgegebenen Geschäftshäusern finden oft dekorative Kunstausstellungen statt.

Was blieb:
– zwei Metzger
– eine handvoll inhabergeführter Modeläden
– drei Cafés
– ein Nagelstudio
– ein Schreibwarenladen
– ein Buchladen (!) mit integriertem Weinverkauf
– ein inhabergeführtes Hausratsgeschäft (jetzt mit Poststelle)
– mein Trödler, der sich auch um Haushaltsauflösungen kümmert
– zwei Dönerbuden und eineinhalb Pizzerien
– ein Netto-Markt
– ein Friseur
– ein Sattler und Polsterer
– ein Bioladen
– drei Eisläden

Was kam:
– ein Rewe
– ein Rossmann
– ein Tedi
– ein Barbershop
Ich zähle nicht die Neueröffnungen der Cafés, von denen die meisten wieder schließen mussten. Ich erwähne nicht all die Großmärkte außerhalb der Innenstadt. Die Autobahn ist nah, die Gewerbegebiete schmiegen sich an.

Das Stadtbild wird von Deutschen, Türken, Russen, Italienern und Arabern geprägt. Auf dem Marktplatz treffen sich in der einen Ecke Alkoholiker und in der anderen alleinerziehende und andere Mütter. Bibliothek, Feuerwehr, Polizei und Rathaus sind vorhanden.

Die Musikschule meiner Tochter ist ein Neubau aus dem Jahr 1990 und liegt ganz oben am Hang über den Häusern des Schläfers. Der Schläfer ist ein Viertel jenseits der eigentlichen Stadt und geradezu der Prototyp einer gemischten Vertriebenensiedlung mit kleinen Mehrfamilien- und Einfamilienhäusern. Immer ein wenig Grün drumherum, darauf die nunmehr historischen Teppichstangen und Wäschehalter aus Eisen. Kleine Straßen, über deren Namen Du die Ostprovinzen bereisen kannst: Schlesien, Pommern, Ostpreußen, Danzig, Lüben, Breslau … Zwischen den Häuserreihen Gehwege, zum Teil Gartenanlagen. Und eine Fläche, auf der früher wohl einmal ein Spielplatz war. Ich weiß nicht, warum ich solche Viertel so mag – vielleicht wegen der völligen Abwesenheit von Werbung und Dekorativem, geschweige denn einem Hauch von Design. Alles übersichtlich und homogen. Und sehr ruhig.

Limburg ist erheblich heterogener zwischen Karstadt-Beton, Trash und peinlichst renoviertem Fachwerk. Da geht nichts zusammen – was mit der Autogerechten Stadt der siebziger Jahre zu tun haben dürfte. Aber es gibt hier immerhin noch einen Bahnhof.

Deutsche Geschichte. Deutschland vor der energetischen Sanierung. Deutsche Stadtbilder des Jahres 2025.
