Christoph Sanders, Thalheim

Am Samstag eine gute Sonnenrunde mit dem Mannheimer Freund. Hinüber ins Wiedtal, dem man 30 Kilometer lang bis an die Mündung folgen kann. Kleine Abbiegung nach Neustadt-Telegraf, zum Domizil, das Rudi Gutendorf bis zu seinem Tod im Jahr 2019 bewohnte: Eine umgewidmete Lichttelegraphenstation, Vorgänger des Telephons für Staats- und Kriegsnachrichten – da bedienten seinerzeit drei Beamte die Schwenkarme. Aus dem letzten Wegstück, das fast ungeteert ist, ragen Glasfaserkabel. Ein Mähroboter versorgt den hektargroßen Park rund ums Refugium, dessen schmiedeeisernes Tor offensteht.

Viele Kleinstädte auf der Strecke sind anatolische Gewerbeoasen geworden, so Ransbach-Baumbach. Der ursprüngliche Einzelhandel ist aus der Innenstadt komplett verschwunden, die Türken fangen den totalen Leerstand auf und renovieren die vor sich hinrottenden Häuser. Im Ortskern sind nach acht Monaten Großbaustelle endlich 400 Meter Straße geteert. Zu Beginn der Arbeiten wurde eine alte Keramikfabrik gesprengt – einst ein stattliches Gebäude, jetzt ein übergrünender Schutthaufen. Im Vorbeifahren freuen wir uns über jedes Haus, das überleben wird. Am Ortsende umkreist eine blonde Frau in den besten Jahren mit dem Rasentraktor den makellosen, sorgfältig eingezäunten Bungalow. Nur hundert Meter weiter am Waldrand ein Altbau der 1950er, von Büschen und Bäumen umringt, auf der wilden Wiese Schaukel, Plastiktraktor und Trampolin.

Richtg multikulturell dann unser Bäckerstop in der Rheinebene. Auf dem Parkplatz vom Kaufcenter in Bendorf wieder riesiger Flohmarkt. Das Publikum identisch mit dem von neulich an gleicher Stelle – man spricht Russisch, Bessarabisch und anderes. Dabei null Aggression. Mit dem Nötigen versorgt, setzen wir die Fahrt und unser Gespräch über Bücher fort. Über Chlodwig Poths Meisterwerk „Last Exit Sossenheim“, mussten wir beide sehr lachen, besonders er als Mannheimer – denn genau „das ist der Sound an der Kasse, beim Fleischer, beim Bäcker …“ Zum Glück sind sie bald weg, diese unerbittlichen, kryptofaschistischen Deutschen, so das Fazit. Das Buch, eine Studie der alten BRD, sei allen warm ans Herz gelegt.

In der neuen Bundesrepublik hingegen wird an sonnigen Samstagen rasant und unentwegt Auto gefahren. Motorräder schwärmen aus, Wohnmobile werden ausgemottet. Sonst bin ich da unempfindlich, doch die latente Aggression die von einigen dieser Freizeitmenschen ausgeht, ist spürbar. Während sie dich überholen, überholen sie sich auch noch gegenseitig. Und wenn du dann in eigentlich entspannter Abendstimmung aus einem nach Gras riechenden Audikombi zudem von einem rotgesichtigen Mittdreißiger angebrüllt wirst, weil du als Radfahrer den Verkehr aufhältst, weißt du: es sind die Kinder ihrer Eltern. Advantage Sossenheim.

Nun der zweite Teil des Sonntagsfrühstücks – ein Sencha mit seiner milden Nuss-Heunote. Die Hasen haben frischen Löwenzahn – den wir gestern auf der Tour an einem unverdächtigen Standort auch zupften und dann roh genossen. Der Mannheimer Freund erzählte viel von seiner Familie. Unter anderem vom Obstbäume pflanzenden schlesischen Pionier, der in der Nachkriegszeit die kleine Scholle urbar machte, die man gemeinsam gekauft hatte. Dreißig Jahre später war das wertvolles Bauland – und die Bäume wieder weg.

Während der Rest der Familie im Urlaub war, hat unser haushütende Sohn den Blattspinat im Kühlschrank komplett übersehen. Ich esse alles, was nach den zwei Wochen noch genießbar ist – ein zarter, leicht herber Geschmack. Unser Tisch ist reich gedeckt.
