Helko Reschitzki, Moabit

Besuch beim Schriftsteller, Vogelhausbauer, Straßenrandgärtner und Blog-Kameraden Bernd Wagner. Die inhäusig zu erledigenden Dinge bringen wir hurtig hinter uns, damit wir in die Sonne können. Vorm Haus betrachten wir Bernds Beet, in dem die Schneeglöckchen und Winterlinge kräftige Farben in den graukrustigen, gelbbetröpfelten Schnee tupfen. Da ich auf den Gipfel des gleißenden Kreuzbergs möchte, fußtasten wir wie Hanghühner, die zu oft am Codein genippt haben, die ziemlich steilen und glatten Wege hoch, bis endlich die langen 66 Meter geschafft sind. Dabei fallen Sätze wie: „Bloß nicht schon wieder mit Ellenbogenbruch in die Klinik!“ oder „Runter gehts schneller, fragt sich nur wie, haha.“ oder „Wen soll man denn jetzt nun wählen?“ oder „Die Vögel klingen jetzt schon ganz anders, nicht mehr lange, dann beginnen die sich zu paaren.“ oder „Nach Gustav Mahler und Tschaikowski gab es keine gute Musik mehr.“ („Häh?!“) Den auf den am Parkrand herausgerissenen Baustellenzaunfeldern rodelnden Hormonteufeln ist sowas natürlich vollkommen egal. Am Fuß des Hügels sehen wir jemand in einem riesigen Nagetierkostüm. Wir fragen uns, ob der Kunstfellbewandete dafür bezahlt wird, oder es sich um einen uns bislang unbekannten Fetisch handelt, aber wahrscheinlich balanciert es sich mit langem Schwanz nur gerade etwas einfacher übers Eis. Und so genau will man sowas ja nun auch nicht wissen. Wieder heil unten, gehen wir zum Dora-Duncker-Park, von wo aus wir zwischen Schienen und Birkenwäldchen Richtung Gleisdreieck stapfen. Auf den Hauptwegen viele Menschen, dort wo wir sind, nur wir und die Tierspuren vor uns. Am Robinienvorwald trennen sich die Wege, Bernd will weiter in den Großen Tiergarten, ich ins Russische Haus. Прощай друг!

Dann zurück nach Moabit, wo sich in eine 10 Hektar große Biohof-SoLawi („Solidarische Landwirtschaft“) aus dem Brandenburgischen vorstellt, um Mitglieder wirbt und vor Ort die Einrichtung einer Abholstation der zukünftig wöchentlich gelieferten „Gemüsekiste“ vorbereitet wird. Ich schließe aus den verschiedensten Gründen kein Abonnement ab.
Zum Glück bin ich in der Großstadt in der privilegierten Lage, an vielen Orten Lebensmittel in der besten Qualität zu bekommen, so dass ich mir die Anbieter nach meinen Kriterien (und Sympathien) aussuchen und zusammenstellen kann. Das ist im Hinterland oft viel schwieriger, da musst du deine Produkte von dem nehmen, der halt da ist: den erzeugerpreisdrückenden Handelskonzernmultis (via Supermarkt in der nächstgelegenen Kleinstadt), dem Hofverkauf mit Fantasiepreisen, all den Ideologen, die sich zunehmend am rechten und linken Ackerrand tummeln. Reine Glückssache. Denn entgegen des Klischees hat dort nicht jeder die Möglichkeit selbst anzubauen.
Gegen 5:30 Uhr gibt die Amsel im Hof laut, kurz danach die Tauben. Die Schneeflächen geschrumpft, mählich steigen die Temperaturen. Dampfbad mit Eukalyptus, Minze, Thymian und Teebaum, dazu Arvo Pärts „Adam’s lament“, ECM Records, 2012. (Ich lasse andere für mich lamentieren.) Frühstück, Frühsport, Teeaufguss. Guter Morgen.
