Frank Schott, Leipzig

Es hat beinahe die ganze Nacht durchgeregnet. Die Luft ist jetzt klar und sauber. Die Wege im Park sind noch schlammig und feucht. Beim Joggen weiche ich den Pfützen aus. Das Elsterflutbett ist fast spiegelglatt, nur eine ganz leichte Strömung kräuselt die Wellen. Nach meinem gestrigen Erlebnis bei der Arbeitsagentur muss ich die finsteren Gedanken vertreiben. Am Ende laufe ich in einer Stunde 11 Kilometer und ich fühle mich erholt und wunderbar leer im Kopf.

Montagmorgen: Was für eine deprimierende Erfahrung am ersten Tag des Monats um 8 Uhr mit über 60 Menschen vor den Türen des Arbeitsamts zu stehen. Einige sehen aus, als hätten sie seit Tagen in ihren Klamotten geschlafen. Einige sind gekleidet, als würden sie auf dem Weg zur Arbeit noch schnell wegen eines Rezepts beim Arzt vorbeischauen. Wieder andere, die wenigsten, sind ausstaffiert, als ginge es in die Oper. Einige haben Partner, Freunde oder Eltern dabei, als bräuchten sie für diesen demütigenden Gang den Trost einer nahestehenden Seele. Bevor sich der Schlund des Amts öffnet, steht eine Gruppe, die einer Warteschlange nicht unähnlicher sein könnte, auf dem breiten Pflaster vor der Pforte. Abstand wie zu Corona-Zeiten, als könnte das Elend der Anderen ansteckend sein und das eigene Unglück vergrößern.
Man zieht eine Nummer und sitzt, wenn man schnell genug war, auf einem der viel zu wenigen blassblauen Stühle aus Metall. Die sind in Dreiergruppen angeordnet und so verschraubt, als müsste man sie vor Attacken verzweifelter oder wütender Menschen schützen. Die Hälfte von uns muss stehen. Wer nicht auf sein Handy starrt, blickt auf den Monitor, der mitleidlos langsam die Nummern raufzählt. Auf der Toilette hustet sich ein Mann so heftig den Schleim von der Lunge, dass ich kurz überlege, den Notarzt zu rufen.
Neukunden („Kunden“, welch ein Euphemismus) nutzen die Hinweise von erfahrenen Besuchern, um die Regeln zu durchschauen. Oder sie versuchen, durch Beobachtung das System zu entschlüsseln. Fünf Schalter sind geöffnet und strukturieren das Elend. Inzwischen sind 20 Minuten vergangen- noch vier Nummern, vier Schicksale, bis mich das Amt in seinen Fängen hat. Nach einer halben Stunde bin ich an der Reihe. Meine Betreuerin ist im Urlaub. Die Unterlagen sind nahezu vollständig. Ich bekomme einen QR-Code, damit ich in meinem Profil den Antrag auf Arbeitslosengeld aktivieren kann.

Als ich wieder draußen bin, muss ich erstmal ins Grüne. Die Sonne tut gut. Eine Fahrradwerkstatt mit einer fast zugewucherten Fassade muntert mich ebenfalls auf. Ich bastele aus dem Papierchen mit meiner Wartenummer ein Faltboot und lasse es auf einem kleinen Teich schwimmen.

