Helko Reschitzki, Moabit

Den gesamten Mittwoch über zersäbeln Helikopterrotoren den moabiter Himmel – auch ohne Nachrichtencheck ist klar, dass der israelische, der us-amerikanische oder der ukrainische Präsident in der Stadt ist. (Es ist Letzterer.) Das heißt höchste Sicherheitsstufe – LKA, BKA und andere Dienste sind per Hubschrauber, Jetskis und Booten, zu Fuß und mit Scharfschützen auf Dächern präsent. Mitte und Tiergarten werden zum Teil abgesperrt, es kommt zu Störungen im Nahverkehr. Warum solche Treffen im Zentrum einer Großstadt abgehalten werden, verstehen zunehmend weniger Leute – genau dafür gibt es abgeschirmte Landresidenzen wie Schloss Meseberg. Aber so nervig diese Einschränkungen auch sein mögen, nach zwei, drei Tagen sind sie vorbei – im Gegensatz zur permanenten Gain-of-Function-Forschung: Im S4-Labor des RKI wird mitten in Berlin an Pocken-, Zika-, Corona-, Influenzaviren und Milzbranderregern experimentiert – ein kleiner Unfall und unsere 4-Millionen-Stadt ist das Epizentrum einer biologischen Katastrophe. Wofür haben wir eigentlich das Siegfried-Loeffler-Institut auf der Insel Riems, das auf hochpathogene Viren, Bakterien und Parasiten spezialisiert ist und aus gutem Grund weit entfernt von menschlichen Siedlungen liegt?

Am Schlachtensee ist dann vom Drumherum des Staatsbesuchs nichts zu spüren. Ich treffe zwei meiner Lieblingsmitschwimmer: Ein nettes Ehepaar, das auf die 90 zugeht. Gebürtige Friedenauer, leben nun aber in Lichterfelde. Haben den Krieg und die Nachkriegszeit in Berlin erlebt, das Zerschneiden der Stadt und ihrer Familien: „Zum Glück wohnten wir so weit ab, dass wir die Mauer nicht auch noch jeden Tag sehen mussten.“ Der 9. November 1989 war auch für sie ein Tag der Befreiung. Beide sind Umweltschützer und besuchen regelmäßig die jeweiligen Stadtteilversammlungen. Kürzlich nahmen sie an einer Uferinspektion mit dem Bezirksbürgermeister teil, bei der es darum ging, wie weitere Hügelabgänge nach Starkregen verhindert werden können. Wir reden über tiefwurzelnde Pflanzen, Drainagen, Terrassierung und Wasserumleitungen – sie stehen voll im Stoff, lassen sich „immer alle Unterlagen schicken“. Wenn sie eine Frage oder Ideen haben, wenden sie sich an die entsprechende Stelle – ich habe den Eindruck, dass sie jeden Amtsleiter und Förster der letzten 60 Jahre namentlich kennen. Sind alle gesetzlichen Mittel ausgeschöpft, muss man sich „aber auch manchmal wie ein Partisan verhalten“, so der Mann. Wer wäre ich, dem zu widersprechen. In der Bucht haben sich nun vier Stockenten niedergelassen. Ab und an gesellt sich eine fünfte dazu, eine sechste sucht noch Anschluss.

Am Montagabend sitze ich fünf Stunden mit dem Guerillagärtner im Biergarten. Er berichtet, dass der Großteil der im Frühjahr geretteten Gehölze gut angewachsen ist. Wo die Sträucher nicht wurzelten, hat er Rosen gepflanzt. Weil Kinder und Betrunkene ihn an der einen oder anderen Stelle kaputt balanciert bzw. zu Boden geschlurft haben, muss der Flechtzaun repariert werden. Wir sprechen viel über Sprache – ein zentrales Thema in Zeiten, in denen Begriffe nicht mehr für alle dasselbe bedeuten, Verständigung zunehmend schwieriger wird. Wir tauschen uns über unsere Erfahrungen mit KI-Werkzeugen aus und gute Strategien, mit denen man Informationen filtert. Wir überlegen, wie man sich und die Seinen am besten vor all dem Psychomüll schützen kann, ohne dabei zum Außenseiter zu werden. Spannend ist der kleine Diskurs über das unterschiedliche Empfinden von Zeit in unterschiedlichen Kulturkreisen und Milieus, was sich bis ins eigene Umfeld zieht: Manche „haben“ einfach „nie Zeit“ – und das sind nicht unbedingt die Selbständigen mit den vier Kindern. Das Schöne an unseren raren Gesprächen ist, dass wir öfter mal komplett konträrer Ansicht sind, worüber sich dann trefflich streiten lässt. Es ist gut, jemanden zu treffen, der den Austausch von Argumenten, das Verlassen der eigenen Filterblase, das beidseitige Dazulernen zu schätzen weiß – und bei alledem Dissenz aushält.

Am Freitag 35 Grad im Schatten – als die letzten Schlüpfer auf dem Wäscheständer landen, sind die ersten Hemden bereits getrocknet. Über die Washington Post verbreitet sich die Meldung, dass vor kurzem in einer stillgelegten Atomwaffenfabrik in South Carolina radioaktive Wespennester gefunden wurden – exakt so fingen in den Fünfzigern und Sechzigern einige dieser fantastischen B-Movies an.

Räucherstäbchengroßkauf in der maoabiter Filiale der chinesischen Supermarktkette Go Asia – zu meiner Freude entdecke ich viele mir noch unbekannte Sorten. Die erste, die ich zuhause entglimme, heißt „Seven african powers“. Diese sieben Kräfte, so recherchiere ich, werden in Ritualen angerufen, um Schutz für die Familie, auf dem eigenen spirituellen und beruflichen Weg und in Zeiten des Wandels zu erbitten. Sie stehen für Führung, Gerechtigkeit, Weisheit, Liebe, innere Stärke, Heilung und Schutz.
Shine on!
