Frank Schott, Leipzig
Herbst. Seit Samstag gibt es Regen in allen Formen: Regengüsse, Regenschauer, Landregen, Nieselregel … Den sanften Nieselregen, der fast als Nebelfeuchte durchgehen kann, mag ich am wenigsten – als Fahrradfahrer wird man durchnässt, ohne dass man den Regen wahrnimmt; als Fußgänger sind Jacke und Haare feucht, ohne dass man das Gefühl hatte, einen Schirm herausholen zu müssen.

Im Wald sind alle Wege schlammig. Wo die Feuchtigkeit nicht direkt als Pfütze offenbar wird, ist der Boden schmierig und rutschig. Das zwingt mich zu Tippelschritten oder kleinen Sprüngen, lässt mich besonders feuchte Stellen am Wegesrand umlaufen – kurz, es bringt mich aus dem Rhythmus und macht mich langsamer. Ich weiß, dass es die Bewegung ist, die zählt – trotzdem habe ich beim Joggen den Ehrgeiz, mich zeitlich zu verbessern.
Beim Laufen kommt mir der alte Coachingspruch in den Sinn: Man muss sich Ziele setzen. Messbare, zeitlich terminierte, realistische und zugleich anspruchsvolle Ziele. Während der Schlamm auf meine Socken, Unterschenkel und Laufshorts spritzt, überlege ich: Welche Ziele habe ich? Welche könnte ich mir setzen?
Ich beginne mit einer Bestandsaufnahme.
– Mehrmals die Woche laufen: Mache ich.
– Die Strecken, von 5 Kilometern ausgehend, langsam verlängern: Na klar, mein Standard sind aktuell 8,5 km.
– Einen Halbmarathon laufen: War ich dreimal in diesem Jahr. Zwar nur für mich selbst – aber hey: Ich hab’s geschafft. Und ich brauche weniger als zwei Stunden dafür – auch okay.
Dann kommt mir eine Idee: Wie wäre es, 10 Kilometer in unter 50 Minuten zu schaffen? Bis zum Frühjahr? Sagen wir, bis Ende März? Und da kommt der Schlamm ins Spiel. Die Umwege, die Sprünge und die Trippelschritte. Die wenigen, aber doch vorhandenen Straßen, die ich queren muss, und wo ich mich zwischen parkenden Autos durchschlängele. Ich müsste die zehn Kilometer zunächst einmal auf einer geraden und hindernisfreien Strecke laufen, damit ich eine saubere Referenzzeit bekomme. Doch wo gibt es solche Strecken? Ich schlage mir (sinnbildlich, in echt wäre das beim Joggen ziemlich blöd) die Hand vor den Kopf: Na klar! Zweimal die Woche bin ich doch an der perfekten Laufstrecke – im Stadion, wo ich die Jungs trainiere, gibt es eine 400-Meter-Aschenbahn! Stupide Runden zu drehen ist zwar denkbar langweilig, aber sei’s drum: Ziel vereinbart, Lösung gefunden: Einfach mal eine Stunde vor dem Training da sein und laufen.

Jetzt, wo ich tagsüber joggen kann und der Herbst da ist, sind die Wege fast menschenleer. Zudem sind Ferien. Zwei, drei Mütter tragen ihr Baby mit Gurt vor der Brust. Vom Kindergarten schallt durch den Wald freudiges Lärmen zu mir herüber, aber ich sehe niemanden. Die Sportanlagen und Spielplätze sind regenfeucht und leer. Ebenso die Bänke, wo ich zuletzt öfter ein älteres Pärchen sitzen sah, das sich mit einer Bekannten unterhielt, die mit einem großen, zottigen Hund vor ihnen stand.

Wie üblich patrouillieren auf den Wegen einige Krähen. Ich vermute, dass sie, sollte der Mensch einmal vergangen sein, neben den Kakerlaken dereinst die Welt beherrschen werden. Selbstbewusst und klug genug sind sie. Von den Pfützen schrecke ich Spatzen hoch. An der Kanuanlegestelle hocken Enten auf dem Holzboden, andere durchqueren die fast spiegelglatten Gewässer. Der Wald erscheint mir so grau wie der Himmel über mir. Immerhin regnet es gerade nicht. Weil die Bäume das angesammelte Nass von den Blättern schütteln, komme ich trotzdem nicht trockenen Hauptes davon.
