Christoph Sanders, Thalheim
Der Mittwochmorgen beginnt mit einem guten Sencha. Am Abend zuvor habe ich den zähen Kampf von Muhammad Ali gegen Chuck Wepner in halber Geschwindigkeit abgespielt und analysiert. Wepner eine Art Kirmesboxer mit sagenhaften Nehmerqualitäten. Ali hat die schnelleren Beine und das bessere Auge, ist sehr vorsichtig, aber die Treffer, die er Runde um Runde setzt, haben dem dünnbeinigen Wepner nicht viel geschadet. Entscheidend ist ein kleiner, kaum sichtbarer Uppercut von Alis Linker – Knockout in der 15. Runde.

Das Smetana Quartett und eine wunderbar zarte Sonne bringen den Tag zum Leuchten. Zum Mittag Stielkotelett vom Metzger mit Reis, Paprika, gedünstetem Lauch, Pastinaken und Weißkrautsalat. Dann Konen an einem Vorderrad eingestellt. Nicht zu fest, nicht zu lose – in beiden Fällen zerstören sich sonst die Laufflächen und schrotten die Nabe. Ein Schwarm Kraniche hat es über das Dorf geschafft.

Am Donnerstag Trödlerbesuch: Ein Lederknopf für mein Cordjackett, Kopfhörerstecker, drei Tafelmesser mit gezahnter Edelstahlklinge und angenehm schwerem Griff. In unserer Küche am Abend Reis und Süßkartoffeln zubereitet und mit meiner Jüngsten verspeist. Die andere Tochter, die gerade als Austauschschülerin in Frankreich weilt, berichtet von Aufbackbaguettes, die der Gesichtsfarbe eines Todkranken ähneln. So kann sich ihre Gastfamilie den jährlichen Skiurlaub leisten – Konsumoptionen, die zu sozialen Akten werden.

Am Freitag in den Nachrichten immer wieder die Betonung, dass die Vogelgrippe nicht auf den Menschen übergeht. In Frankreich seit letzer Woche Stallzwang. Freude am Smetana Quartett mit Janáčeks „Intime Briefe“. Ein irres Stück. Mikrodissonanzen, die dann wieder aufgelöst werden, abrupte Lautstärkewechsel. „Wie kann man so etwas einer Gesellschaft in Abendkleidern zumuten?“, fragte ein Kritiker der Spätromantik. Vorm Einschlafen Gogols „Taras Bulba“: Ein cholerischer Kosakenführer, der das Christentum verteidigt und Dekadenz hasst. Da gehts viel um Ehre, „Polnische Liederlichkeit“ Prügel und Prügelstrafen. Wie drastisch „Männlichkeit“ beschrieben ist, wie scharf die Trennung vom „unmännlichen Verhalten“. Da wird einem die Verschiebung deutlich, die es in den letzten Jahrzehnten gab – nicht alle Kulturkreise sind ihnen gefolgt. Laut Herodot ähneln die Thraker den Kosaken: Sie verachten das Ackerleben, verkaufen ihre Mädchen – nur die Jagd zu Pferde, Raubzüge und Kampf gelten als ehrenhaft. Da sie so zerstritten sind, geht von ihnen trotz der Überzahl keinerlei Gefahr aus. So schreibt es der Pole Ryszard Kapuściński in seinem „Reisen mit Herodot“. Lesen! Lesen! Lesen!

Den Samstag hauptsächlich mit Sperrmüllausräumung verbracht: Regalschränke, Fotolaborausrüstung, Gartenspielzeug, Inlineskater, kaputte Sonnenschirme usw. Der Pflaumenbaum nun völlig entlaubt. Regenfront und kleiner Covid-Rückfall – die Symptome sind exakt dieselben wie vor drei Wochen, nur viel leichter: Müdigkeit, schlappe Beine und Benommenheit, Magenschmerzen, sanft belegte Stimme. Kleines Abendbrot mit Feldsalat, gutem Joghurt und der Jüngsten.

Vor 7 Uhr läuft im Deutschlandfunk nur Musik – leider ausschließlich Barock, wahrscheinlich Sonntags-Füllmaterial. Richtige Nachrichten scheints auch keine zu geben – nur, wer wann wo was zum Stadtbild gesagt hat. Rückstellung aller Uhren und Frühstück mit Brahms‘ „Klavierkonzert Nr. 2“. Nach der Rasur auf zur kleinen Herbstrunde.

Von einer feucht-stürmischen Runde zurück. Habe meine Füße nicht mehr gespürt – falsches Schuhwerk, Rad ohne Schutzbleche. Zum ersten Mal eine videoüberwachte Baustelle mit Straßenschranke gesehen. Bin druntergekrochen. War natürlich keine Baustelle da, in dem 50-Seelen-Kaff. Bis zur Gesichtserkennung ist es nur noch ein kleiner Schritt. Wenn es soweit ist, wird wahrscheinlich jemand die Anlage mit einem Viehschocker kurzschließen … Wirbelnde Blätter, kaum Leute unterwegs. Nur die Trinker und Trinkerinnen an der Tankstelle. Eine spindeldürre Frau um die 70 mit kurzen grauen Haaren, die aus dem Auto steigt, leicht wankend auf das Regal mit dem Stoff zustrebt, zwischendurch ihr Geld fallenlässt, um sich für knapp 19 Euro einen halben Liter Jägermeister zu kaufen. Wackelig zurückgeht, wieder einsteigt und mit ihrem makellosen, zwanzig Jahre alten Ford Fiesta vom Hof zirkelt. Die Tresendame: „Sie kommen gern am Sonntag, weil man sie dann nicht im Supermarkt sieht.“ Fünf Minuten später die nächsten beiden Trinker. Nachdem sie bezahlt haben, gehen sie mit ihren Jim-Beam-Cola-Dosen die 200 Meter zur Tankstellle gegenüber. Es gibt hier noch eine dritte. Alkohol in der Provinz. Der Leerstand in Hachenburgs reizender Innenstadt unverändert hoch. Das erste Café am Platze heute geschlossen. Die Vorgänger hatten nach vierzig Jahren kurz vor Corona aufgehört. Herrliche Champagnertrüffel machten die …

Den Hinterlandblues vermeiden, die vielen Mikroerregungen um einen herum. Lieber musikalische Studien betreiben und den Kamin befeuern. Wenn es hell ist, sehen wir deutlicher.
