Helko Reschitzki, Moabit
In der aktuellen „leibniz“-Ausgabe, dem Wissenschaftsmagazin der gleichnamigen, in Berlin ansässigen Gesellschaft, wird auf sechs Seiten die Bakteriophagenforscherin Christine Rohde vom Leibniz-Institut Braunschweig vorgestellt und über deren Arbeit berichtet. Phagen werden als das beschrieben, was sie sind: Viren, die man sehr präzise und individualisiert auf krank machende Bakterien ansetzen kann und die somit ein wichtiges Heilmittel im drohenden postantibiotischen Zeitalter werden dürften. So weit, so gut.
In dem Artikel wird allerdings suggeriert, dass das ein relativ neues Gebiet wäre – mit wirklich keinem Wort wird über die mehr als einhundertjährige therapeutische Grundlagenforschung der georgischen (bzw. sowjetischen) Wissenschaftler geschrieben, die Praxiserfahrung in den Kliniken der UdSSR und den anderen Staaten des Ostblocks. Der Franzose Felix d’Hérelle, Erfinder des ersten wirksamen Phagen-Mittels, wird ebensowenig erwähnt wie der Georgier Georgi Eliava, der 1923 in Tiblisi ein Labor gründete, aus dem das wichtige „Institut zur Erforschung von Bakteriophagen“ hervorging, in dem über viele Jahrzehnte u.a. erfolgreich an der Entwicklung von Medikamenten und Thearpien gearbeitet wurde, die dann länderübergreifend zum Einsatz kamen.

So spielten Phagen z.B. 1961 bei den Eindämmungsmaßnahmen der Ruhr-Epidemie in der DDR eine wichtige Rolle und wurden darüber hinaus dort noch bis in die Achtzigerjahre verschrieben. In Georgien gehören sie bis heute zur medizinischen Grundversorgung. Seit über zwanzig Jahren gibt es organisierte Patientenreisen in das kleine Land im Südkaukasus; viele als unheilbar geltende Kranke aus dem Westen wurden in den dortigen Kliniken behandelt und gerettet. Das alles ist sehr gut dokumentiert, kommt aber im „leibniz“-Artikel nicht vor – man kann nur spekulieren, warum. Da es sich um das offizielle Magazin eines Zusammenschlusses außeruniversitärer deutscher Forschungsinstitute handelt, sollte ein Gefälligkeitstext zu PR-Zwecken oder fehlende Recherche eigentlich ausgeschlossen sein.

Der „leibniz“-Artikel von Christian Heinrich: https://www.leibniz-magazin.de/alle-artikel/magazindetail/newsdetails/die-bakterienfresser
Der wohl beste Einstieg in die Geschichte der Phagentherapie – thematische Sonderfolge des PANDEMIA-Podcasts: https://player.phonostar.de/?p=6224&i=64
Dokumentation der Deutschen Welle zu Bakteriophagen und den georgischen Therapien: https://www.youtube.com/watch?v=fmPK932Tado
arte-Dokumentation: https://www.youtube.com/watch?v=i3u4abH41bw
DLF-Beitrag: https://www.deutschlandfunkkultur.de/wenn-antibiotika-nicht-mehr-helfen-zur-phagen-therapie-nach-100.html
Die Ruhr-Epidemie in der DDR: https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/318550/epidemien-in-der-ddr/
