Frank Schott, Leipzig

Das Grauen kommt in Wellen. Heute ist es besonders grau. Aus grauen Wolken fällt grauer Regen auf graue Straßen. Graue Autos peitschen durch graue Pfützen und schleudern graues Wasser auf graue Bordsteine. Ungeduldig preschen graue Radfahrer vorbei.

Wo eben noch ein Auto stand und den brüchigen Asphalt vor dem Regen verbarg, sticht nun helles Grau auf dunkelgrauem Belag hervor. Mit Kapuzen verhüllt oder beschirmt eilen graue Menschen zu Haltestellen, in denen andere graue Menschen kauernd Schutz gesucht haben. Graue Busse, an deren Flanken Spritzwasser bizarre Formen in den grauen Dreck gemalt hat, sammeln sie dort ein.

Graue Wolken spiegeln sich in grauen Pfützen, graue Tropfen perlen zwischen grauen Blättern auf grauem Fahrzeuglack. An einem Schaufenster wird per Hand darauf verwiesen, dass das Geschäft dahinter geschlossen ist – da lief der SALE wohl nicht so SUPER.

Ein grau besprühter Imbisswagen in einer Lücke, die mal vor dem Krieg oder vor der Wende ein Haus war, rottet auf grauen Blättern vor sich hin. Graffiti machen graue Wände nicht lebendig. Graue Menschen werden nicht bunter, wenn sie eine Haltung zeigende regenbogenfarbene Tasche tragen.

Ein trunkener Streuner mit zottigem Bart, in graue plumpe Gewänder gehüllt, taumelt über den Bürgersteig und dirigiert mit beiden Armen ein Orchester, das nur er hört. Rattengesichtige Hunde in grauen Leibchen zerren an ihren Leinen und imitieren das Bellen des Wolfs. Überall Dreck – achtlos fallengelassen und vom Wind aus überfüllten Papierkörben in die grauen Grasstreifen geweht. Mir graut es.

Welch Frevel! Plötzlich bricht der graue Himmel auf und die Sonne schiebt sich durch die grauen Wolken. Der Regen wird allmählich schwächer und tröpfelt wenig später ganz aus. Gegen das Restgrau in meinem Herzen hilft meine Geheimwaffe: Eine Butterbrezel mit einer großen Tasse Kaffee, dazu zwei weitere Kapitel in Prechts Abhandlung zu philosophischen Grundfragen der Menschheit.

Für heute gerettet.
