Helko Reschitzki, Moabit

Ich gehe einmal die komplette Bernauer herunter. Im Mauerpark seh ich eine Frau mit dem coolen Glitzeraufnäher „I LOVE MOSCHINO“. Am Vinetaplatz blüht duftend Flieder. Touristenhorden überlaufen die Mauergedenkstätte. Wo einst Menschen starben, macht man heute dümmliche Posefotos. Aber besser Selfiegrinser als Soldaten mit MPs, Selbstschussanlagen und auf Menschenjagd zugerichtete Hunde. Ich schaue mir das Areal hinter der Kapelle der Versöhnung an. Ein Stück der sogenannten Hinterlandsicherungsmauer steht noch. Im Ex-Niemandsland befindet sich der Gemeinschaftsgarten „NiemandsLand“, ein Projekt zweier Kirchgemeinden. Blühwiese, Pflanzenkübel, Kräuterwildwuchs – alles angenehm unordentlich.

Auf einem an der Wand lehnenden Grabstein steht als Name schlicht Mutti. Die wurde so alt, wie ich es gerade bin. Direkt daneben dösen auf Liegestühlen ein paar Sonnentanker mit Thermoskannen. Stille.

Vom Garten geht es überganglos auf den im Jahr 1844 eingeweihten St.-Elisabeth-Friedhof. Die dort 1892 errichtete Versöhnungskirche befand sich nach dem Mauerbau mitten auf dem Todesstreifen. Da sie für die Grenzer ein toter Winkel war, wurde sie 1985 gesprengt. Große Wut und tiefe Trauer in beiden Teilen der Stadt – ein weiterer Sargnagel für den dahinsiechenden sozialistischen Staat. Auf und aus den Trümmern der gesprengten Kirche wurde 2000 die Kapelle der Versöhnung errichtet – ein Ort des Gedenkens und Innehaltens, ein Ort der Demut. Ich freue mich, dass ich dort nun einfach so herumgehen und mich an der schönen Friedhofsanlage erfreuen kann. An einigen der Gräber hocken Frauen und zuppeln an Pflanzen herum, harken und gießen. Jemand hat einem der Engel ein paar Rosen in die Hände gelegt. Blauer Himmel, eine wärmende Sonne. Ein entspannter Nachmittag in einem Land, das nicht auf die schießt, die es verlassen möchten, weil sie es dort nicht mehr aushalten.

