Frank Schott, Leipzig
Am Anfang war der Besenginster.
Nein, ich muss das anders beginnen: Am Anfang wollte ich nach den Regenfällen noch eine kleine Runde durch Parchim spazieren. Ohne bestimmten Grund ging ich von der Weststadt in Richtung Südring. An der Ebelingstraße bog ich nach links ab, in der Hoffnung, einen Weg zu der kleinen Fußgängerbrücke zu finden, die mich über die Ziegendorfer Chaussee zurückbringen würde.

Hinter den Häusern machte ich mein erstes Foto: Die Eldewiesen im Sonnenuntergang, dramatische Pfützen, viele Gräser und blühende Kräuter. Eine spannende Pflanze kam nach der anderen – da wir hier die Botaniktrommel befüllen, habe ich sie alle dokumentiert. Wobei ich zugeben muss, dass ich ohne meine Pflanzenbestimmungapp aufgeschmissen gewesen wäre – immerhin kannte ich den kräftig gelb leuchtenden Besenginster noch aus dem Biologieunterricht, wo wir ihn sammeln und für das Herbarium pressen mussten.

Die lilablühende Pflanze war mir hier oft aufgefallen. Als mir die App den Namen verriet, sagte ich nur: na klar, die Wicke, genauer die Zottige Wicke. Ein Schmetterlingsblütler, der als Grünfutter, aber auch als Düngepflanze verwendet wird und durch Symbiose mit Knöllchenbakterien in den Wurzeln Stickstoff aus der Luft bindet.

Die nächste Pflanze war klein, ziemlich unscheinbar, und trug eine weiße Blüte: Die Graukresse. Ein Kreuzblütengewächs, aus deren Samen das Kresseöl gewonnen wird. Würde die Pflanze mehr als 30 Prozent der Nahrung ausmachen, könnte sie für Pferde tödlich sein. Da sie sehr bitter schmeckt, meiden Pferde diese aber in der Regel.

Wenn der Blick einmal auf dem Boden gerichtet ist, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus: Erneut eine kleine Pflanze, die am Wegesrand gelb blüht – der Scharfe Mauerpfeffer. Allein für diesen Namen, hat sich das Nachsehen gelohnt. Auch der Zweitname, Fetthenne bzw. Scharfe Fetthenne, ist einprägsam. Bereits 300 Jahre vor Christus soll deren Saft als Heilmittel gegen Schwellungen und Entzündungen verwendet worden sein. Neuere Untersuchungen zeigen, dass es zwar eine blutdrucksenkende Wirkung gibt, aber das Gewächs insgesamt leicht giftig ist.

Die folgende weiße Blüte gehört zur Kratzbeere, bei der es sich um eine Brombeerart handelt. Im Gegensatz zu den bekannten Büschen, erreichen die niedrig liegenden Ruten hier nur Längen von 30 bis 60 Zentimetern. Verwendungsmöglichkeiten? Na klar: Aus den Früchten wird Likör, Marmelade oder Kompott. Oder man nascht sie gleich beim Pflücken.

Wer könnte erraten, zu welcher Pflanze die blaulila-farbene Blüte mit den fünf Kelchblättern und den weit herausragenden Staubblättern gehört? Imker wissen es vermutlich, da das Gewächs aufgrund des hohen Zuckergehalts im Nektar bei Bienen sehr beliebt ist – der Gewöhnliche Natternkopf aus der Familie der Raublattgewächs.

Bevor ich, als gemeine Großstadtpflanze, den Kopf in den nahen Ufersand stecke, weil ich so gar nichts über die Flora auf dieser Wiese weiß, sehe ich dann noch einen unverwechselbaren, kräftig rot leuchtenden, alten Bekannten – den Klatschmohn. Was ich über ihn wiederum nicht wusste: Die Blätter können wie Spinat zubereitet und vor der Blüte roh, zum Beispiel in Salaten, verspeist werden.

Fünfzehn Minuten Spaziergang, auf denen ich an einem einzigen Wegsaum mit Hilfe des Phones acht verschiedene Blühpflanzen identifiziert habe – ein lohnender Ausflug.
Wer jetzt noch wissen will, wie die App heißt: Es handelt sich um das kostenfreie, KI-unterstützte Programm „Flora Incognita“, das von der Technischen Universität Ilmenau und dem Max-Planck-Institut für Biochemie in Jena entwickelt und dabei mit Mitteln vom Ministerium für Bildung und Forschung, dem Bundesamt für Naturschutz und der Stiftung Naturschutz Thüringen unterstützt wurde. Das nenne ich mal gut investiertes Steuergeld.

