Christoph Sanders, Thalheim
Die dienstägliche Radfahrt fordert noch ihren Tribut – aber es wird. Beim Trödler sind neue Sachen eingetroffen – die ist Hütte voll; dutzendweise werden A.R.-Penck-Drucke mitgenommen. Ich greife zu Welthölzern für meine Kerzen. Die Maisernte ist in vollem Gange – ein Häcksler nach dem anderen arbeitet sich über die Fläche. Im Nu sind die Pflanzen zerkleinert und werden direkt in die gewaltigen Silageanhänger geblasen, die mit ihren Zugmaschinen kaum auf die Feldwege passen. Die Covid-Infektion verzieht sich nur langsam – über zwei Stunden Nachmittagsruhe. Auch bei den Kids nun erste Symtpome. Ein windiger Tag mit eiligen Wolken. Große Abendsonne.

Strahlende Wochenmitte mit frischem Untergrund – ein Herbsttag der schönsten Sorte. Spielend werden eine weitere Apfelwanne gefüllt und die Auswüchse des Tulpenbaums gekappt – morgen ist ein Grünschnitttonnen-Tag. Im langen Dress auf die Bahnstrecke. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten fühlt sich der Tritt wieder mühelos an. Oben in der Gemeinde macht auf der Kanalstraße gerade ein Bautrupp aus Berlin seine Glasfaser-Akkordmeter. Vor ein paar Tagen sah ich die Balkan-Truppe vor dem Netto aus einem alten Kleinbus steigen. Am Rewe treffe ich zwei Grundschuldorfkumpel der Jüngsten, die sich eine Runde Chips und grüne Limo gönnen. Zuhause berichte ich ihr von den Heldentaten der alten Kameraden. Sie selbst ist nun zur begeisterten Pyromanin geworden – das Feuermachen im Ofen birgt für sie keine Geheimnisse mehr. Jean Françaix‘ Werke für Bläser und Kammerensemble sind die perfekte Untermalung für das Verglühen dieses wundervollen Tages.

Donnerstag um kurz nach sieben ein glasklarer Himmel. Die letzten sichtbaren Planeten werden von der Emirates-Maschine überkreuzt, die es bis London nun nicht mehr weit hat. Gegen 8:30 Uhr werden dort die ersten Gastarbeiter aus der A 380 steigen und auf dem Weg zur City ihre Strava-Apps einschalten. Zehntausend Meter tiefer huschen die Türkentauben paarweise über die Wipfel. Ich lüfte die Bronchien, das Haus leert sich. Die EU-Kommission wünscht sich von China mehr Konsum, bis 2050 solle der aber „klimaneutral“ sein – alles fürchterlich hilf- und richtungslos. Flake von Rammstein bei Magenta Musik einfach bei seiner Sache. Es wäre schön, wenn alle bei ihrer Sache bleiben könnten. Im Hintergrund das Rauschen der Maschinen, die jetzt, eine nach der anderen, Frankfurt anfliegen.

Ein durch und durch sonniger Tag. Ich komme meine Strecken gut hoch, aber die anschließende Müdigkeit lässt mich weiter vorsichtig bleiben. Ich habe begonnen, einen angebrochenen Rahmen zu zerpflücken – die Teile werden später woanders verbaut. Der Vorteil klassischer Räder: Die Komponenten sind querkompatibel – ich kann Kurbeln, Bremsen und Schaltungen untereinander tauschen. Ab 1995 wurde das von den Herstellern unmöglich gemacht. Die Kunden fliegen jetzt von Fortschritt zu Fortschritt und zittern, ob sie sich den neuen Bremshebel noch leisten können. Oder sie leasen – neue Bikes sind teuer. (Alte übrigens nicht.) Da er seiner Frau gegenüber sexuelle Unlust und Entfremdung verspürt, führt Nabokovs König eine schwierige Ehe. Seine Sucht nach Abenteuern stillt er mit Stallburschen, Zirkusartisten und anderem Personal. Die Königin lebt weit entfernt in einer pompösen Villa an der Côte d’Azur. Im echten Leben streift Jünger zur gleichen Zeit durch Antibes und Umgebung: Eingölte Amerikanerinnen mit rotlackierten Nägeln drehen sich in der Sonne wie auf einem Toastautomaten. Die Erfindung des Bikinis ist durch kretische Scherben belegt, das Waffentestatoll im Pazifischen Ozean wird auch erwähnt. Saint-Tropez ist noch kein Jetsethafen.

Von den norditalienischen Graffitisprayern über die Grenzen hinweg erstmalig ein Gruß auf Deutsch: „Vorsicht – hat keine Papiere“.

