Helko Reschitzki, Moabit

Zuletzt war wieder alles dabei: Schwimmen im Nebel und Regen, bei Wind und absolute Windstille. Mal war es mild, mal schneidig kalt, mal wärmten die ersten Sonnenstrahlen des Tages sogar noch ein wenig. Fast jeden Tag spektakuläre Sonnenaufgänge, dazu tolle Wolkenbilder. Die Toiletten-Firma hat auf Wintermodus umgestellt und am 1. November ihre Container am Uferweg verschlossen – und das genau vier Wochen später als ausgewiesen = ein Bonusmonat.

Die Wassertemperatur im Schlachtensee betrug am 1. September 21 Grad, am 1. Oktober 16 und am 1. November 10 Grad. Am schwersten fiel mir der Übergang von 16 auf 14 Grad, den Unterschied zwischen 14 und 10 Grad merke ich nicht. Momentan bin ich für einhundert Schwimmzüge und ein wenig Rückengleiten im Wasser, insgesamt etwa dreieinhalb Minuten. Meine Maßnahmen gegen das Auskühlen nach dem Herauskommen sind: hurtiges Abtrocknen und Anziehen (Schichtprinzip, Thermosocken und Wollmütze), Gymnastik sowie heißer Tee und anschließend ein zügiger Dreiviertelstundenmarsch zur S-Bahn. Noch funktioniert das prima – die Lufttemperatur beträgt morgens um die sieben Grad. Die Zahl der Mitschwimmer ist bei ungefähr 16 Grad noch einmal merklich geschrumpft – mal sehen, ab wann nur die Hardcore-Winterschwimmer und Eisbader übrig sind.

Bei den Wasservögeln keine signifikanten Entwicklungen – lediglich für die Mandarinerpel hat sich durch die Verfärbung der Blätter etwas geändert: Wenn sie auf Laubbäumen sitzen, sind perfekt getarnt und somit eindeutig Nutznießer des Chlorophyllabbaus.

Die Ärztezeitung berichtet über eine aktuelle Studie, die einen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von mit E.-coli-Bakterien belastetem Fleisch und Harnwegsinfektionen aufzeigt. Doch nicht nur der Harntrakt kann betroffen sein – manche E.-coli-Varianten können blutigen Durchfall, Blutvergiftungen oder Entzündungen der Nieren, Lunge und Hirnhäuten auslösen. Wenn man etwas tiefer in die Materie taucht, wird es noch düsterer: Andere Studien wiesen in Fleischprodukten häufig antibiotikaunempfindliche Stämme nach – wobei in Spanien etwa 40 % der Proben betroffen waren, in Irland bei Hähnchen fast 99 %, bei Schweinen 32,5 %, bei Rindern 14 %. E. coli-Bakterien sind zunehmend multiresistent gegen Antibiotika, das heißt, Infektionen durch diese Bakterien lassen sich nur noch schwer oder gar nicht mehr behandeln. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie hat darauf reagiert und empfiehlt in ihrer S3-Leitlinie zur Therapie unkomplizierter Harnwegsinfektionen den Einsatz von Meerrettich und Kapuzinerkresse – deren Senföle zeigen eine hohe Wirksamkeit gegen E.-coli-Bakterien. Zurück zu den Wurzeln.

Während wir uns zu zweit beim Tischtennis warmspielen, tritt ein uns unbekannter Mann an die Platte und fragt, ob er für zwanzig Minuten mitspielen könne, bevor er weiter zur Arbeit müsse. Klar – wir machen zu dritt weiter. Mein alter Mitspieler bittet mich, ihm nochmal den Namen des „tollen, sehr gesunden Tees“ zu nennen, den ich einmal erwähnt hatte. Icke: „Das ist Moringa.“ Mitspieler: „Davon hab ich wirklich noch nie woanders etwas gehört.“ Daraufhin der Neue: „Oh, Moringa ist total bekannt! In meiner Heimat kochen wir viel damit.“ Ich frage, woher er ursprünglich kommt. „Südindien. Da wachsen viele Moringabäume. Es gibt sogar ein Reinigungsritual mit Moringa.“ Da wirds doch interessant – der Ball ruht. Der Inder berichtet weiter, wie die Blätter, Schoten, Samen, Blüten, Rinde und Wurzeln verwendet werden und erzählt, dass er einmal im Monat in dem Nachbarschaftshaus, wo wir gerade spielen, indisch kocht – wenn wir mal kommen wollen und ihm vorher ne Mail schicken, würde er dann extra etwas mit Moringa machen. Sehr sympathischer Typ. Moringa oleifera gilt aufgrund seines außergewöhnlich hohen Gehalts an bioaktiven Verbindungen, Mineralstoffen, Proteinen und Vitaminen als eine der nährstoffreichsten Pflanzen weltweit, wirkt antioxidativ, entzündungshemmend und stoffwechselregulierend und kann so vorbeugend und unterstützend bei Herz-Kreislauf-, Stoffwechsel- und Entzündungserkrankungen eingesetzt werden. Ich verwende die Blätter seit Jahren in meinen Teemischungen.

Absolut mitreißende Lektüre: Jeremias Gotthelfs „Die Wassernot im Emmental“. In dem Büchlein wird das Hochwasser beschrieben, das am 13. August 1837 im Schweizer Emmental massive Zerstörungen an Brücken, Häusern und Feldern verursachte, bei dem Menschen und Tiere zu Tode kamen. Gotthelf (eigentlich Albert Bitzius), der in dem Tal als Pfarrer wirkte, erlebte die Folgen direkt, dokumentierte die Katastrophe, sammelte Augenzeugenberichte. Daraus entstand ein prosaischer Text – eine Mischung aus Erzählung, Reportage und Predigt, der auch heute guten Stoff zum Nachdenken bietet:
„Andere stunden da, lautlos, zerschlagen, nur eines Gedankens voll. Gestern waren sie gesessen in diesem Hause, es war ganz gewesen, sie hatten Hausgerät gehabt, Vorräte, fruchtbringendes Land, muntere Kinder; sie waren da gesessen, waren aber nicht zufrieden gewesen, hatten gemurrt und geklagt über mancherlei, hatten geglaubt, der liebe Gott hätte allen gegeben, nur ihnen genommen, hatten das gering geschätzt, was sie empfangen, über das sich gehärmt, was sie nicht hatten; so hatten sie geredet gesunden Leibes, der zu essen und werchen sattsam hatte. Mitten in diesem Grollen hatten die Wasser sie aufgejagt und in die Flucht – und jetzt, wie fanden sie ihr Besitztum wieder, als sie wiederkamen? Da gedachten sie der am gestrigen Tage geführten Reden. Ach, in den Boden hinein hätten sie sinken mögen über derselben Vermessenheit; ach, wie gerne wären sie jetzt zufrieden gewesen mit ihrem gestrigen Zustande, wie gerne wollten sie jetzt Gott danken für seine Güte, wenn es noch wäre wie gestern! Aber er war dahin, dieser Zustand, den sie mit so undankbarem Herzen genossen hatten, und Gott hatte ihnen einen andern gegeben, um an demselben sie Dankbarkeit zu lehren, denn wer im Glücke sie nicht lernt, den unterrichtet Gott durch Unglück.“

Zahlreiche Nachdrucke, digital hier zu finden: https://www.projekt-gutenberg.org/gotthelf/wassernt/wassernt.html
