Frank Schott, Leipzig
Ist es das Alter? Will ich mir beweisen, dass ich es noch drauf habe? Ist es der berufliche Stress, der ein Ventil braucht? Sind es die gesellschaftspolitischen Entwicklungen, die meine Gedanken in deprimierenden Spiralen kreisen lassen und durch Sport für einen Moment gedämpft werden?
Bei der Laufrunde am Samstag war eindeutig die Politik der Antrieb. Am Frühstückstisch las meine Frau eine Nachricht vor: Der Virologe Drosten muss aktuell in Dresden vor dem Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtags zur Corona-Politik aussagen. Was mich auf die Palme brachte, waren nicht die typischen Ausreden wie „Wir haben es nicht besser gewusst“ und „Es war ein Konsens von Politik und Wissenschaften“, sondern seine Aussage, man habe die Kinder weggesperrt, weil man befürchtete, dass Covid bei ihnen schwere Spätfolgen, wie man sie von Mumps kennt, auslösen könnte – um Panik zu verhindern, wurde das dann aber nicht kommuniziert.
Ich war so voller Wut, dass ich die Laufschuhe schnürte.
Und das tat gut.
Auch wenn große Teile des Auwalds mitten in der Stadt liegen, sind die kleineren Waldwege auch am Wochenende vormittags in der Regel menschenleer. Das Volk nutzt die breiten, oft asphaltierten Strecken, um schnell zwischen Ost und West zu wechseln oder von Süd nach Nord zu kommen. Auf den Pfaden bin ich alleine mit mir und dem Geruch des Waldes, den diesmal der verwelkende Bärlauch dominiert. Ich höre die Vögel. Eine Amsel nimmt ein Bad in einer Pfütze und fliegt auf, als ich näherkomme. Gevatter Krähe lässt sich überhaupt nicht stören und trippelt entspannt von der einen auf die andere Seite. Auf dem Deich hüpft eine Bachstelze an mir vorbei.

Am Sonntag laufe ich erneut. Die gleiche Strecke. Und wieder ist es am schönsten auf den Waldpfaden. Der Wind weht und lässt die Bäume die Regentropfen abschütteln. Über einer der Brücken kreist ein Raubvogel mit einer beachtlichen Flügelspannweite. Vielleicht ein Habicht oder Bussard? (Was wir alles nicht mehr wissen und unsere Eltern noch wussten …)
Es hat kräftig geregnet in der Nacht. Die Pollen wurden von den Blättern gespült und bilden Schlieren auf den Pfützen. Die Luft ist kühl und ausgesprochen rein. Meine Beine heben und senken sich, die Oberschenkel stampfen wie die Kolben einer Dampfmaschine. Es fühlt sich gut an. Lebendig. Beim Laufen kann ich fast alles andere ausblenden und finde zu einer inneren Ruhe. Da ist mir dann auch der Drosten mit seinen verzweifelten Rechtfertigungen egal.
