Frank Schott, Leipzig
Freitagabend in der Karl-Liebknecht-Straße. Es ist gegen halb zehn. Mir scheinen mehr Menschen als sonst zu Fuß unterwegs zu sein. Die Anzeigen an den Straßenbahnhaltestellen geben Auskunft: Wegen eines Unfalls werden hier alle Linien weiträumig umgeleitet. Ein getuntes Auto röhrt mit grollenden Motoren die Straße rauf und wieder runter.
Vor dem Konsum, der bis 22 Uhr geöffnet hat, spricht mich ein Mann um die 40 an, dem Aussehen nach könnte er auch ein Punk sein. Ob ich etwas Geld für ihn hätte. „Wofür?“, frage ich. – „Für Alkohol und Drogen“, antwortet er mit einem Grinsen. Wegen dieser Ehrlichkeit hätte ich ihm beinahe Geld gegeben, aber ausgerechnet heute habe ich kein Kleingeld in der Tasche.

Ich blicke auf den Neubaublock, in dem ein großer Biomarkt und ein Fahrradhändler das Erdgeschoss belegen. Das Grün der Bäume leuchtet im Gelb der Straßenlampen. Laut LVZ gab es um die Bäume vor einigen Jahren einen Disput. Da es dort zur DDR-Zeit keine gegeben hätte und das ganze Areal schützenswert sei, wollte der Denkmalschutz sie beseitigen lassen. Nach einem kurzen Sturm der Entrüstung setzte sich der gesunde Menschenverstand durch – die Bäume blieben.

Am Giebel des Feinkostgeländes leuchtet die Löffelfamilie. Seit 1993 ebenfalls denkmalgeschützt. Jugoslawiens Staatschef Tito soll während eines Besuchs Anfang der Siebziger über den farb- und trostlosen Anblick der DDR gemosert haben, woraufhin Honecker die Stadt Leipzig aufhübschen ließ. Im Zuge dessen entstand am VEB Leipziger Feinkost auch die Leuchtwerbung – der Legende nach eine Mischung aus der Las-Vegas-Reklame „Go West, Cowboy“ und einer Familie aus dem Freundeskreis der Grafiker. Durch Fördermittel und Spendengelder restauriert und erhalten, löffeln Vater, Mutter und die beiden Kinder dort noch immer ihre Suppe. Seit 2007 befindet sich auf dem Gelände ein Kulturzentrum mit Gastronomie und Gewerbe.

Vor dem Gelände fährt der Geldadel vor. Natürlich parkt man wie immer auf dem Bürgersteig. Unter einem BMW muss man sich hier aber nicht blicken lassen. Wobei ein X3 neben einem Mercedes oder Lamborghini tatsächlich etwas billig aussieht.
