Christoph Sanders, Thalheim
Eine Rundfahrt durch die hübsche Havelberger Altstadt offenbart schnell die Grenzen der Sanierung. Etliche Immobilien stehen zum Verkauf, der kaum noch vorhandene Einzelhandel hat zu kämpfen. Nur die Marktplatzgastronomen scheinen etwas davon zu haben, dass hier viele Radwanderer auf ihrer Elbtour Etappe machen.

Im Sprühregen, der seit einer halben Stunde über die Dörfer weht, verschwimmen die gelben, roten und weißen Postautos. Während der Vermessungsingenieur noch seiner Arbeit nachgeht, werden bereits die Rohre für die Glasfaserkabel angeliefert. Die Nitzower blicken gespannt dem Kammermusikkonzert in ihrer Dorfkirche entgegen. Ich bekomme vor Ort zufällig eine kleine Kostprobe: Während die Veranstalterin die Programmhefte hineinbringt, beenden die jungen Musiker gerade ihr Stück. Dank der flachen Holzdecke ist die Akustik sehr gut. Ich freue mich auf den Abend.

Ausflug ins 35 Kilometer entfernte Pritzwalk. Aufgeräumte Stadt, nicht allzuviel los, die üblichen kleinen Touristenshops, ein völlig überteuertes Café. Als ich um die Nikolaikirche schlendere, entdeckt mich die Mitarbeiterin des gegenüberliegenden Weltladens und gibt mir eine komplette Führung. Auf dem städtischen Friedhof ist die Kapelle der Familie Quandt nicht zu übersehen – der Reichtum der Sippe hat seinen Quell in der Prignitz. Durch wogende Weizenfelder gehts zurück Richtung Wilsnack. Die Kirchen sind die Leuchttürme des flachen Landes – der Rest kriecht gebückt über die Scholle.

Zwischenhalt im Eichenwald. Die Schwalben umkreisen die dicken Bäume und mich als wären wir Slalomstangen. Ich hab mal gelesen, dass die Vögel bis zu zweihundert Bilder pro Sekunde wahrnehmen. Das Leben von uns Menschen muss für sie wie in Zeitlupe ablaufen. So können sie in für uns nicht mehr zu erfassender Geschwindigkeit die Richtung wechseln und Hindernissen ausweichen. Unendlich langsamer erspähe ich an einem privaten Selbstbedienungsstand an der Straße Wachteleier. „Kasse des Vertrauens“ – aber dann doch nicht so ganz, da das Regal von einer Wildkamera überwacht wird.

Abendrunde durch den Kiefernwald. Die Mädchen und ich genießen den uns unbekannten Duft. Ein einsam stehendes Haus, zu dem man sich Geschichten denken kann: Sind da Spuren von Autos? Lebt hier jemand? Vielleicht kommt nur das Pflegeteam vorbei? Gebaut ist das Waldhaus in der soliden und schönen Backsteinarchitektur, wie man sie hier in Preußen hunderttausendfach findet. Gleich daneben liegt die Bahnstrecke nach Berlin. Man kann die Geräusche der langen Güterzüge gut vom ICE unterscheiden. Da es hier weder Berge noch Kurven gibt, haben meine Kinder das ungewohnte Gefühl, einfach immer weiter rollen zu können. Sie genießen das und wundern sich nur ein wenig über ihre komische Haltung auf den Hollandrädern.

