Christoph Sanders, Thalheim
Neue Töne aus den Büschen, Taubengurren aus allen Richtungen. Ein guter Morgen für einen ausgeschlafenen Radfahrer. Ich fühle mich frisch wie die Veilchen, die gerade aus der Erde kommen. Alles macht einen Schub da draußen. Seit Freitag umkreisen Turmfalken den Kirchturm, der Kampf um die Plätze ist noch nicht entschieden. Es dürften Bruderkämpfe sein. Die Krähen haben jetzt weniger zu lachen, ihre kreuzförmige Sonnenliege ganz oben ist ein unruhiger Ort geworden. Gebe dem Sohn noch letzte Ratschläge und ein I-Pad für die Schwester in die Schule mit. Die Märzsonne ruft!

Am Straßenrand ein toter Feldhase. Daneben ein Streifenwagen, dessen Insassen mit einer Art Fernglas Geschwindigkeitsmessungen machen. Treffe auf der nächsten Kuppe den Ostafrikaner. Ich frage ihn, ob er ein Rad gebrauchen kann. (Geschenkt.) Er antwortet: Welche Farbe? Und möchte meine Handynummer. Ich versuche ihm klarzumachen, dass ich seine Unterkunft kenne und ihm das Rad bringen würde. Er ist nicht begeistert: Leute stehlen. Bittet um drei Euro, weil er noch nicht gefrühstückt hat – er würde gern in Limburg einen Cappuccino trinken. Sagt, er ist Deutscher, sagt nicht, woher seine Eltern stammen. Hat zwei Narben auf dem Jochbein.

Entspannung beim hauseigenen Mokka. Höre die Kinder aus dem Kindergarten. Das Chivers-Rezept der Orangenmarmelade mag ich am liebsten. Im Radio ein Bericht darüber, dass der internationale Stromverbrauch stark gestiegen ist. Ursache sind die Klimaanlagen, die Rechenzentren und das elektrifizierte Fahren. In Venezuela muss Energie gespart werden, weil wegen der extremen Dürre die Pegel der Andenzuflüsse sinken. Der Präsident erklärte alle Freitage bis Anfang Juni zu „Feiertagen“. Mit diesem Zwangsurlaub will er die Krise in den Griff bekommen. Die Hebeleffekte des Klimawandels erreichen an gewissen Stellen des Planeten Größenordnungen, die wir uns hier kaum ausmalen können. Trotzdem versuchen wir nicht ernsthaft die zivilisationsverstärkte Komponente zu moderieren. Wie Sloterdijk mal sagte, leben ja 9/10 der Weltpopulation keineswegs mit großem CO2-Fußabdruck. Von uns werden sehr viele Dinge als selbstverständlich angenommen, als Naturgesetze. Ergebnis einer allgemeinen und diuffusen Konditionierung. Sie ist nicht gerichtet, sie ergibt und verstärkt sich. Ein Satz meiner Kinder, der mich wie ein Blitz traf: Handys gibts doch bei jedem Vertrag gleich mit dazu. Meine Wahrnehmung hatte da Wirkung und Ursache verdreht.
Ich verlasse das Tal, die Sonne geht auf, der Weg und die Bäume hier sind uralt, Autos scheint es nicht zu geben … bis die ersten Ferienflieger den Himmel besteigen und man sich in Dreierreihen über die Autobahn schiebt, rechterhand die schier endlose Kolonne türkischer, griechischer, kroatischer und lettischer LKW, die ihre Ware an die Zielorte bringt, und linkerhand zunehmend neuere Automobile mit hohem Geschwindigkeitsüberschuss. Das ist das Offensichtliche und scheint in keinerlei Zusammenhang zu stehen mit dem, was von professioneller Seite in überwiegender Weise darüber verkündet wird. Die A3 ist das, was der Fall ist.
… und mein Roggenbrot, auf dem gleich eine Menge Ziegenkäse landen wird …
