Frank Schott, Leipzig
Was ist das nur für eine Schwäche in Geist und Körper? Es fühlt sich an wie eine Mischung aus Corona und Grippe, den Nachwehen einer Blutspende und tiefer mentaler Erschöpfung. Beim Joggen sind die Beine von den ersten Metern an so schwer, als hätte ich bereits 20 Kilometer in den Muskeln und Knochen. Ich schaffe nur kleine, kurze Schritte – zu jedem einzelnen muss ich mich zwingen. Ich fühle mich fremd in meinem Körper. Vielleicht spielt auch das Wetter mit rein: Drei Tage unentwegt Böen, Regengüsse, graue Wolken, nur ab und an ein Sonnenstrahl. Auch der heutige Lauf erfolgt im Nieselregen.

Trotz meiner Auszeit bemühe ich mich, Routinen beizubehalten. Neben dem Sport ist es die Hausarbeit. Vom Vorderhaus weht der Wind kiloweise die großen Blätter der Japanischen Zierkirsche in den Vorgarten und aus den umliegenden Höfen das Laub der Linden, Birken und Eschen, das ich regelmäßig zusammentrage. Zudem begleite ich oft meine Frau zu Fuß auf ihrem Weg zur Arbeit und mache auf dem Rückweg kleine Einkäufe – das ist immerhin eine knappe Stunde Bewegung an der frischen Luft. Wieder zu Hause gibt es dann die erste Tasse Kaffee des Tages.

Heute nehme ich den Rückweg über das Freigelände zwischen der Semmelweisbrücke und dem Bayerischen Bahnhof. Bis zum Ende der DDR war das ein wichtiges Industrie- und Gewerbegebiet. Jetzt sieht man nur noch – teilweise schon zugewachsen – die früheren Pflasterstraßen durchscheinen. Ähnlich wie der ehemalige Flughafen Berlin Tempelhof liegt auch diese Fläche brach, allerdings verhindert hier kein Volksentscheid eine sinnvolle Nachnutzung. Das Gelände war lange Zeit Spekulationsobjekt: Ein Besitzer verkaufte es an den nächsten und sackte dabei Gewinne von 300 Prozent oder mehr ein. Jetzt scheint aber das Ende der Fahnenstange erreicht zu sein – man beginnt tatsächlich zu bauen, oder muss es tun, um die Kosten wieder hereinzuholen. An der Verzögerung ist auch die Kommune nicht ganz unschuldig: Mit dem Wachstum der Stadt stiegen die Wünsche und Ansprüche an Bebauungsplan und Investor – was ebenfalls Zeit kostete. Noch ist das Areal eine Art Heidelandschaft, durchzogen von überwucherten Wegen und inzwischen stattlichen Bäumen. Belebt wird das Areal von freilaufenden, sich austobenden Hunden. Auch Fuchs und Hase haben hier anscheinend ein Zuhause gefunden – immer wieder gibt es entsprechende Sichtungen.

Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“ habe ich beendet. Der Meister und seine Margot, wie er sie nennt, haben ihre Ruhe gefunden. Margaritas Dienerin Natascha hat sich entschieden, eine Hexe zu bleiben. Pontius Pilatus wurde erlöst. Der Teufel und dessen Gesellen haben die Stadt Moskau verlassen, die um zwei Tote ärmer und einige verwirrte Akteure sowie viele Gerüchte reicher ist.
Auf meiner Leseliste stehen aktuell Rushdies „Die satanischen Verse“ und die Bibel, womit ich beim Übernatürlichen bleibe. Die Bibel habe ich als als Lesestoff für zwischendurch auf dem e-Book dabei. Momentan bin ich im 3. Buch Mose, also im Alten Testament, und lange vor der Hinrichtung Jesu auf Golgatha – der Erhebung vor den Toren Jerusalems, die auch bei Bulgakow eine wichtige Rolle einnimmt. Ich gebe zu, dass ich bei diesen Themen allenfalls ein rudimentäres Halbwissen besitze, da an meinen Schulen Marx, Engels und Lenin, nicht aber die Bibel Unterrichtsstoff waren.
Was mich bei der Lektüre des Alten Testaments überrascht, ist das Mikromanagement Gottes: Abraham tu dies, Moses tu das. So gibt Gott Mose bis ins kleinste Detail Anweisungen, wie der Tempel, die Bundeslade und die Priestergewänder gestaltet werden sollen. Vielleicht war diese klare Ansage gerade in diesem Teil der Welt genau richtig? Erinnern wir uns, wie sehr Donald Trump jüngst die Hamas und die israelische Regierung an die Hand nehmen musste, um die halsstarrigen Akteure zum Verhandlungsfrieden zu zwingen.

An die Bibel muss ich auch denken, als die Herbstsonne für einen kurzen Moment die Spitze der Peterskirche erstrahlen lässt. Was für eine Kraft der Glaube sein muss, wenn er die Menschen zu solch gewaltigen Bauten inspiriert hat.
