Christoph Sanders, Thalheim

Morgens um sechs ist die A3 dreispurig voll, im Dunkel bewegen sich die Arbeitstrupps, die freien Bürger und die Freizeitbürger mit den Skikoffern ununterbrochen weiter. Am Airport FRA herrscht Hochbetrieb. Energie jeder Form wird verheizt. Abends um acht, das gleiche Bild. Wie ein Skispringer breitet die startende Boeing über mir die Flügel aus, die Positionslichter der Landeanflieger verfolgen mich noch lange, die Lichthupen der Shopper, Eventbürger und Urlaubsheimkehrer begleiten mich.
Uns schwant, dass die Ressourcen für die aktuellen Formen von Luxus nicht für alle reichen werden oder aber ein planetarischer Preis dafür zu zahlen ist, Kriege und Nöte inbegriffen. Wir ahnen es sogar hier auf dem Kontinient: Sauberes Trinkwasser, gute Luft, guter Schlaf und Zeit werden auf einmal rare Dinge. Die reelle Knappheit der Basisgüter bestimmt bald, was Luxus ist. Unsere Bundesbauministerin im Radio: Man solle bitte berücksichtigen, sozialen Wohnungsbau auch altersgerecht, das heißt barrierefrei, zu gestalten, denn es würden doch demnächst viele sozial bedürftige Rentner um Wohnungen anstehen. Hätte ich mal mein Studium der Nationalökonomie ernsthafter betrieben, statt auf die primitive Betriebswirtschaftslehre zu setzen.

Der Morgen erzeugt ein zartes Blau mit einer hohen Wolkendecke und Temperaturen um die null Grad. Die Bilder und Ortschaften der Fahrt vom Samstag sickern immer noch nach. Mit dem Rad begreift man Distanzen ganz anders, was sehr deutlich wird, wenn es durch die dünn besiedelte Ostseite des Vogelsbergs geht. Ein Dorfladen ist dort ein infrastruktureller Glücksfall. Die Ackerstücke, meist Weiden, sind riesig. Anders als zwischen Marburg und dem Westerwald sieht man kaum Pferdehöfe oder üppige Reithallen. Es ist Agrarland in Erwartung des Frühlings. Es ist Hinterland, das einst fest im Griff des Bischofs von Fulda war – mit stattlichem Schloss in Stockhausen. Ab 1949 nannte man so etwas strukturkonservativ. Bei unserer Tour große Stille auf den Feldern und in den Dörfern. Selten ein Gasthof, selten Menschen. Keine Dönerläden oder „italienische“ Pizza. Der Vulkanradweg ist die umgewidmete Bahnstrecke zwischen Frankfurt und Fulda – im Sommer soll hier ein munteres Treiben sein.
