Helko Reschitzki, Moabit
Der Tempelhofer Hafen

Wenn man wie ich, nicht nur auf einer Insel , sondern zudem nur ein paar hundert Meter vom größten Hafen Berlins entfernt lebt, freut man sich immer, wenn es einen auch mal zu einem der anderen 23 Binnenhäfen führt – so wie mich justament zu jenem in Tempelhof. Dieser wurde 1901-1908 erbaut, Zentrum des Umschlagsplatzes war der Speicher, in dem 14.000 Tonnen Getreide, Stückgut und anderes eingelagert werden konnten. Die Löschung erfolgte durch vier kleine Kräne sowie das Becherwerk für das Schüttgut. Über Schienen, Lastenaufzüge und Bandanlagen wurden die Waren in das Gebäude und dort dann an den jeweiligen Platz gebracht. Prunkstück war das technisch raffinierte Getreideverteilungssystem: Becherwerke hoben das Korn in Schüttgutbehältern über Förderketten in die vierte Etage, von wo es auf eine Waage im dritten Geschoss fiel. Von dort kam es über eine Reinigungsmaschine in den zweiten Stock, um hernach durch Fallrohre in den Keller zu gelangen. Aus diesem wurde es nun mit den Hauptbecherwerken wieder unter das Dach gebracht, wo es durch Trichter auf die Bandanlagen gelangte, die schlussendlich die horizontale Verteilung in der Lagerfläche besorgten.

Neben Getreide wurden meist Mehl, Zucker, Öl, Tabak und Stückgut umgeschlagen. In die Anlage am Teltowkanal war eine Zollstation und ein Schienenanschluss integriert, der von der NME (Neukölln-Mittenwalder-Eisenbahn) betrieben wurde. Im Zweiten Weltkrieg lagerten im Speicher Lebensmittel. Als die Rote Armee vor Berlin stand, setzten SS-Leute das Gebäude in Brand. 1951 wurde dieses wieder aufgebaut und als Unterbringungsplatz für die Senatsreserve genutzt: Nach der Blockade 1948/49 wiesen die drei Westberliner Stadtkommandanten den Senat an, Vorräte für 180 Tage anzulegen, um so einer weiteren drohenden Versorgungsabschneidung trotzen zu können. Bis zum Zusammenbruch des Ostblocks lagerten hier (als gut gehütetes Geheimnis) Medikamente, Nahrungsmittel, Kohle, Treibstoffe, Industrierohstoffe sowie Dinge des täglichen Bedarfs. 1990/91 wurde das dann alles aufgelöst, die Kohlebestände in den Berliner Kraftwerken verfeuert und 90.000 Tonnen an Lebensmitteln und Medikamenten als humanitäre Hilfe der Sowjetunion überlassen. (Ich wünschte, von diesem alten, versöhnlichen Frontstadtgeist hätte sich etwas bis in die heutige Zeit erhalten.)

Der Speicher blieb dann bis auf kleinere Zwischennutzungen leer. 2007 erhielt eine Investorengruppe die Genehmigung, auf dem Gelände ein riesiges Einkaufszentrum zu errichten – Bedingung für die Neunutzung war, das Bild des alten Hafens zu erhalten, infolge dessen man den Speicher saniert und technische Anlagen wie die Kräne restauriert und rekonstruiert hat. Das gesamte Ensemble steht inzwischen unter Denkmalschutz und wurde meiner Meinung nach mit Augenmaß in die Neuzeit überführt, wobei ich anmerken muss, dass ich lediglich am Hafenbecken entlangschlenderte, mir eine Inneninspektion der Shoppingmall jedoch ersparte. Ich bin ja mehr so der Giebel-, Kran-, Poller-, Bootebekieker … so geschehen unter blauem Himmel, bei prima Sonnenschein, aber kühl anmutenden 14°, frühblüherumschmeichelt, mit einer Vogelwelt auf der Balzkirmes.
