Christoph Sanders, Thalheim

Eine halbe Woche Prignitz. Die Waldbrandgefahr ist aktuell bei null – nur seltsam, dass unsere Medien die durchziehenden Schauer nicht bejubeln. Ein verregneter Juli, der kaum einmal auf 30 Grad klettert. Dass die angekündigten Hitzewelle ausblieb, wird nirgends erwähnt. Stadtrundgang Bad Wilsnack: Der diskrete Charme des grauen, aber äußerst haltbaren Rauhputzes. Die Cleo Füllfederhalterfabrik gibt es immer noch (Gründung 1945) – die haben sich u.a. auf handgelackte Federgravuren spezialisiert. Anders als in Hessen kann man hier am EC-Automaten auch 10 Euro ziehen – Bankautomaten sind Realisten.

Muss öfter an den Fahrradbauer denken, den ich in seiner Werkstatt besucht hatte. Ein junger Familienvater, der auf dem eigenen Hof in vielen Arbeitsschritten individuelle Einzelstücke herstellt, womit er eine absolute Ausnahme darstellt. So etwas braucht Zeit und ist feinste Schlosserarbeit – die Teile müssen entsprechend bearbeitet, angepasst, zusammengefügt werden. Nicht nur weil die Serien klein sind, ist das Material nicht gerade billig – Taiwan, als Hersteller für Chromstahl, hat über die Jahre die Preise erhöht. Dazu kommen andere Kostensteigerungen – die größeren Hersteller sind mit jeder Verschiebung in das nächstbilligere Land mitgegangen: Malaysia, Vietnam, Kambodscha, China … Viele kleinere europäische Betriebe blieben dabei auf der Strecke. Der Prignitzer hält bislang durch. Sein Limit ist die eigene Arbeitszeit – die Crux eines jeden Selbständigen. Er kann 10 Mille für ein Fahrrad verlangen und kommt vielleicht mit 2000 netto im Monat raus. Er bewegt sich dabei in einer Welt, in der die meisten Damenradbilligmarken fahren – der Spagat zwischen Armengefährt und Luxusprodukt … Das erinnert mich ein wenig an die Uhrmacher – du kannst Dir für fünf oder fünf Millionen Euro die Zeit anzeigen lassen (die Dein Smartphone ohnehin weiß) … Die Paradoxe des Wohlstands sind zu bestaunen, nicht zu verdammen.

Die Tour erreichte heute meinen Lieblingspass. Knapp zehn Mal bin ich den Col du Soulor von der Nordseite angefahren. Im heimischen Kühlschrank lagert noch der Schafskäse aus dem Bergdorf, das der Tross gerade wie eine fröhliche Kriegsmaschine durchwalzte; Ostern sah ich, wie auf der Passhöhe die Stellfläche für die Wohmobile der Fans planiert wurde. Der neue Tourstar heißt Lipowitz – klasse Stil, nicht so überdreht wie manch anderer. Muss irre Lungen haben …

Die Familie hat das frisch eingekochte schwarze Johannisbeergelee verkostigt und ist mit dem Ergebnis äußerst zufrieden. Nach einem Omelett mit Reis und Salat sitzen alle satt und glücklich vor ihren Endgeräten. Das politische Tagesgeplänkel ist erstaunlich fern. Ich höre weiter meine CD-Funde, so zum Beispiel die hervorragend interpretierten Rachmaninoff-Klavierkonzerte mit Ashkenazy. Am Abend schauen wir vielleicht gemeinsam einen Film. Für mich gibts vorher aber noch die Flachlandrunde nach Legde (95 Einwohner).
