Christoph Sanders, Thalheim

Schneefreier Abend, aber die Polarluft hat sich deutlich bemerkbar gemacht: kalt und feucht, ich dachte schon an Krankheit. Dennoch stimmten die Drosseln in den Wäldern ihre Balzlieder an. Ich habe versucht, den singenden Vogel zu finden - es gelingt nicht. Man müsste eine Viertelstunde mit dem Glas vollkommen ruhig alles absuchen. Vielleicht schaff ichs mal.
Die sehr nuancierten Farbverläufe der Mischwälder. Erle, Weide und Hasel mit recht farbähnlichen Kätzchen gesegnet. Windbefruchtung. Das Rad war an den Bremskörpern und Pedalarmen vom Ausflug zum Hoherodskopf noch bräunlich mit Blütenstaub überzogen. Wenn der Ahorn blüht, sind es dann hellgrüne Spuren.
Eine Kiste Bücher und Schallplatten in die Verschenktelefonzelle gebracht. Das L vom LionsClub prangt auf der Glastüre. Von dort eine wirklich schöne "Rot und Schwarz"-Ausgabe für die Älteste mitgenommen - jeder sollte dieses Buch einmal in seinem Leben gelesen haben. Dann im Billigladen Toni Morrisons "Jazz" gefunden- ich kann es kaum erwarten, damit zu Bett zu gehen. Der Trödler leidet, unseren Einzelhändlern steht das Wasser bis zum Hals - die Nebenkosten steigen, die Umsätze sinken, viele Kunden laufen mit Smartphones durchs Regal und vergleichen Preise. Willkommen im Jahr 2025.
Die Weltgegenwart braust gerade über Europa hinweg - man merkt das an der Disproportionalität der Themen. Die Aufregungsschwelle ist dabei fast schon provinziell, so als würde man sich am Berliner Alexanderplatz über eine achtlos weggeworfene Plastiktüte streiten und sie zur Existenzfrage machen. Bitte mit der Schulter zucken.
Im CD-Player eine wunderbare Aufnahme von Robert Schumanns "Carnaval" mit dem georgisch-russischen Pianisten Nikita Magaloff aus dem Jahr 1954. Die Romantik entwickelte in der Musik freie Ideen, spielt aus und parodiert bereits. Schumann versucht sich mit Stücken wie "Papillons" und den "Davidsbündlertänzen" an Zyklen und Stimmungsbildern. Uns kommt das heute normal vor, aber zu seiner Zeit war das der große Durchbruch in eine neue Welt.
