Helko Reschitzki, Moabit

Entspannte Schlachtenseemorgen. Rundherum Vogeljunge in allen Entwicklungsstadien – man könnte aus den Fotos ein Daumenkino basteln: „Das Blässhuhn – vom Küken zum Schilfgreis“. Interessant das unterschiedliche Verhalten der einzelnen Arten, aber auch in den jeweiligen Familien Nuancen. Der Haubentauchernachwuchs in meiner Bucht zunehmend selbständiger, die Schwimmabstände zu den Alten täglich größer, bereits kleine Tauchgänge – die Rückkehr aber noch ohne Beute. Sehe am Ufer erstmalig eine Zauneidechse. Wundere mich, dass ich das exzellent getarnte Minireptil überhaupt entdecke. Ein Grauhreiher im Baum, Kormorane beim Trocknen des Gefieders, gegenseitige Betrachtung mit einer Mandarinente – der Kurzcheck bei der Erstbegegnung üblich, dann schnell Gewöhnung aneinander. Wobei die Vögel am Schlachtensee bei weitem nicht so scheu bzw. vorsichtig sind, wie beispielsweise die am Plötzensee.

Treffe am See die israelische Kinderärztin wieder. Macht wie neulich Mittagspause. Wir sprechen über Vitamin D und Hitzetage. („Bitte cremen Sie sich niemals ein! Nicht in die pralle Sonne legen – sich wie ein Südländer verhalten.“) Sie sagt irgendwann: „Und wenn die Sonne mal nicht scheint, genießen wir die Dunkelheit.“ Eine äußerst sympathische Frau. Will „demnächst auch mal ins kalte Wasser“.

In der S-Bahn wieder mehr Leute mit FFP2-Maske – und nicht einer hat sie richtig aufgesetzt: Doppelte Fortsetzung einer Schutzillusion. Neue Fahrlektüre: Albert Schweitzers „Briefe aus Lambaréné“, die er 1924-1927 an Freunde schickte. Ungeschönte Berichte aus seinem Urwaldspital in Gabun (Teilkolonie Französisch-Äquatorialafrika).
„Die Formalitäten mit der Hafenpolizei der Krooleute wegen nehmen Stunden in Anspruch. Die Papiere eines jeden einzelnen werden untersucht; eine genaue Liste wird aufgestellt. Der Freetowner Vertreter der holländischen Schifffahrtsgesellschaft haftet dafür, daß alle fünfzig wieder zurückgebracht werden und daß ja kein anderer, minderwertiger Neger an Stelle eines Freetowner Kroomannes untergeschoben wird. Alle afrikanischen Kolonien wachen mit Strenge darüber, daß ihre Eingeborenen, das kostbare Arbeitermaterial, nicht auswandern können. Die Formalitäten zur Ausfuhr eines Negers aus Afrika werden nur von denen übertroffen, die zur Einfuhr eines Hundes in England erforderlich sind.“
Eigentlich hat sich daran wenig geändert – nur dass wir jetzt sowas wie den N-Wort-Schleier über all die Sklaven legen, die für unsere Kleidung, Phones, Laptops, Zahnfüllungen, Prothesen, Werkzeuge, Autos, Kühlschränke, Waschmaschinen, Windrad-, Satelliten- und Flugzeugteile, das Palmöl, den Kakao und Kaffee in den Minen und auf den Plantagen Afrikas, Lateinamerikas und Asiens krepieren …
