Helko Reschitzki, Moabit
Im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité

Vor der Eisernen Lunge im Medizinhistorisches Museum wurde ich daran erinnert, dass ich aus einem anderen Jahrhundert komme – in den Erzählungen meiner Eltern und sogar im Bild einer mäkelborger Kleinstadt waren sie noch bis in die Achtziger präsent: humpelnde und „verwachsene“ Opfer der Kinderlähmung, dieser grausamen Krankheit, die Gelenke und Knochen Heranwachsender zerstört, zu Muskelschwund führt, im schlimmsten Fall zur Lähmung. Bis heute unheilbar. Dank erdumspannender Impfkampagnen konnte 1990 der letzte deutsche Fall vermeldet werden; seit 1994 gilt Amerika als poliofrei, 2000 folgten der West-Pazifik, 2002 Europa, 2020 dann Afrika. Lokal, meist in Pakistan und Afghanistan, taucht die Krankheit immer mal auf, der große Schrecken scheint aber gebannt – bzw. schien: Vieles von dem Vertrauen, das da mühsam über Jahrzehnte aufgebaut wurde, ist durch die teils haarsträubenden Maßnahmen gegen Covid-19 ziemlich zerstört – durch Angstpapiere, Nudging und Nötigungen mag man vielleicht kurzfristig etwas „erreichen“, macht aber langfristig unendlich viel kaputt. Der üble Umgang mit den Impfgeschädigten kommt erschwerend hinzu. So wie es gerade aussieht, werden wir uns an die Wiederkehr so mancher Krankheit gewöhnen müssen. Näheres entnehmen Sie bitte der Tagespresse.

Die Sonderausstellung „Erfindungswahn! Das Segelluftschiff des ‚Ingenieur von Tarden’“ sehr lohnend – anhand einer Krankenakte aus dem Archiv der Charité wird die Geschichte des Patienten A.R. erzählt, der dort 1909 mit der Diagnose „Erfindungswahn“ in die psychiatrische Abteilung eingeliefert wird. Ein Tüftler, der unter falschem Adelsnamen Patente für Luftschiffe an den Mann bringen will und dafür dann für verrückt erklärt wird. Schlüsselsatz dabei: „Es gibt erfolgreiche und erfolglose Erfinder. Die erfolglosen nennt man Paranoiker.“ (Ernst Kretschmer) – selbst Graf Zeppelin wurde bis zur Jungfernfahrt seines Luftschiffs als „Narr vom Bodensee“ verspottet. Bedrückende Einblicke in die Unterlagen A.R.s – man spürt, dass da ein Mensch mit sich und gegen ein mächtiges System kämpft, was ja bis heute vorkommen kann.

In allen Abteilungen des dreistöckigen Museums beeindruckende Exponate: ein historischer Krankensaal, Operationsinstrumente, die Präparatesammlung Virchows oder die Wachsmodellierungen von kranken Körperregionen aus dem 19. Jahrhundert – ein lang schon vergessenes Handwerk …
Es versteht sich von selbst, dass anschließend im Museumsladen der Rucksack mit gebundenem Wissen alter Zeiten befüllt wurde.
