Frank Schott, Leipzig
Ich muss noch mal raus, mich austoben. Ich gehe zweimal um den Innenstadt-Ring – einmal außen, einmal innen. Am Augustusplatz passiere ich den Weihnachtsmarkt, der gerade eröffnet wurde. Mir ist heute aber nicht nach Weihnachten, nicht nach Glühwein, nicht nach Süßem – ich will nur Schritte schruppen. Das ist gar nicht so einfach, weil die Barrikaden und Poller, die den Markt vor einem Terroranschlag schützen sollen, auch Teile der Fußwege belegen. An den mobilen Sperren müssen Ordner für jede ein- und ausfahrende Straßenbahn mühsam die Gitter beiseite zerren.
Autos stehen in Schlangen und nölen hupend vor sich hin. Polizisten begleiten zwei Demonstrationen für oder gegen etwas, das ich nicht erkennen kann. Derweil helfen sie verzweifelten Ortsfremden, mit ihren Fahrzeugen einen Weg durch die vielen Sperrungen zu finden.
Immerhin regnet es nicht.

Bau- statt Verkehrschaos in einem Teilabschnitt der Fichtestraße. Diese wird zur Zeit aufgerissen, um Erdwärmeleitungen unter den geschundenen Asphalt zu bringen. Die LVZ munkelt, dass einige der Nebenstraßen aufgewertet werden könnten, wenn es genügend Abnehmer für die bei den Hausbesitzern ungeliebte Fernwärme gäbe. Aufwertung heißt, dass Parkplätze verschwinden. Klingt nach einem Deal ohne Gewinner.
Ziel der Stadt ist es, bis 2038 alle Bürger mit „klimaneutraler Wärme“ zu versorgen. Die Zeitung rührt dafür kräftig die Werbetrommel und verkauft das Wahnvorhaben als Gewinn für die Zukunft. Man kommt jedoch nicht umhin, einen Sprecher der Kommune zu zitieren, der einräumt, dass Fernwärme gegenüber dem Heizen mit Gas keinen Preisvorteil brächte, klimatechnisch aber schon, wenn man die Gesamtbilanz betrachten würde. Nun, das Weltklima scheint den meisten Leipziger Hausbesitzern angesichts der Kälte und klammer Geldbeutel momentan eher weniger relevant zu sein – es gibt kaum Nachfrage. Was die LVZ natürlich positiver formuliert als ich.

Zuhause höre ich durch ein offenes Fenster drei Elstern lamentieren. Ob das an unseren Katzen liegt? Vögel reagieren im Allgemeinen ja eher stereotypisch auf Katzen, voller Vorurteile und Misstrauen. Vielleicht sind drei aber auch eine Elster zu viel und sie müssen jetzt unter sich die Nachbarschaft neu aushandeln.
Mal schauen, wie sich das alles entwickelt.
