Helko Reschitzki, Moabit
Ostermontag. Morgenroutine: Kräuteröldampf inhalieren, Frühsport und -stück, mit den Jahrhunderten verbinden: „Miserere (Psalm 50)“ von Jan Dismas Zelenka. Mir fällt auf, wie sehr einzelne Passagen des Böhmen der Minimal Music von Michael Nyman und Philip Glass ähneln. Modern klingende Repetation von 1722 (plus barocktypische Dur-Schnörkel). Zum Vergleich höre ich nochmal Glass‘ Soundtrack für den Dokufilm „Koyaanisqatsi“. Faszinierend. Ich mag Reduktion.

Meine kleine Mittagsrunde führt mich in die James-Simon-Galerie, das Besucherzentrum der Museumsinsel. Ich war dort noch nie. Am 2018 fertiggstellten Bau gefällt mir sofort, wie auf optisch smarte Weise die Umgebung miteinbezogen wurde. Da ich mich nie vorab informiere, weiß ich nicht, was mich in der Ausstellung erwartet – und bin komplett überrascht und geflasht von „Fäden des Lebens am Nil. Bildteppiche des Ramses Wissa Wassef Art Center aus Kairo“. An den Wänden zeitgenössische Teppiche unterschiedlicher Größe, ein paar Batikarbeiten. Leuchtende Farben. Tiere. Pflanzen. Alltagsmotive. Familienszenen. Menschen bei der Arbeit: Fischer, Verkäuferinnen, Weberinnen, Bäuerinnen, Meliorationsfachleute, Tuk-tuk-Fahrer. Guter, versteckter Humor. Das Art Center wurde 1951 im Dorf Harrania (inzwischen Groß-Kairo), nahe der Pyramiden von Gizeh als Kinderkunstschule gegründet. Wuchs zum Manufakturort mit 15 Werkstätten, aktuell arbeiten dort 35 (erwachsene) Künstler und Künstlerinnen. Die Teppiche sind weltweit begehrt und als Kunstwerke anerkannt – unter anderem hängen welche im Museum of Modern Art New York. Eine wirklich schöne Entdeckung für mich.

Im hervorragend sortierten Museumsladen kaufe ich neben dem Katalog ein Stück Aleppo-Seife, das wohl bekannteste Produkt aus Syrien. Olive und Lorbeer – was für ein Duft! Auf der Banderole steht Made in Turkey. Aufgrund des Krieges ist ein Großteil der Hersteller ins Nachbarland geflohen, wo nun in Kooperation mit Einheimischen die Produktion fortgesetzt wird. Anhand eines 200-Gramm-Stücks Seife kann man viel über Geopolitik erfahren.

Als ich aus der Galerie komme, zeigt plötzlich einer der ortsüblichen Touristen nach oben und ruft: Cormoranes! Und ja, über uns fliegen gerade vier Kormorane. Schön. Ungleich uneleganter schlurfe ich weiter. Auf dem Kupfergrabenflohmarkt kaufe ich beim fatalistisch-fröhlichen Buchtrödler Erinnerungen eines ostpreußischen WK-II-Kriegsgefangenen der Sowjets und „Der Roggenpreis und die Kriege des goßen Königs“ – die Privatchronik des Berliner Bäckermeisters Johann Friedrich Heyde, der von 1740 bis 1786 all jenes aufschrieb, was ihm für die Nachwelt mitteilenswert erschien: Politik, Kriege, Erfindungen, Himmelserscheinungen, Handelspreise und (für mich am interessantesten), Rezepte für Salben, Tinkturen, Teemischungen und andere Heilmittel für Mensch und Tier. Klasse!
„Eine gute Brand Salbe zu machen. Man nimmt einen Linden Zacken wo gute Rinde dranne ist, schabet das außenste ab. Das innere zerkörnet es zwischen Leinen Tüchlein. Auf den Brand geleget ziehet den Brand aus und heilet alsbald.“
