Christoph Sanders, Thalheim
Der Sonnabend ist ein vollkommen ereignisloser Haustag mit CD-Aussortierungen und Wohnzimmerputz. Ich kann den Staubsauger schieben und mich dabei darauf abstützen. Zwischendurch immer wieder hinsetzen, entspannen, dem Hämatom gut zusprechen, dann zurück zu den Wollmäusen und Spinnweben. Anschließend in die Badewanne. Am Abend lese ich Gogols „Der Mantel“ – was für eine böse Erzählung! Man bekommt eine Ahnung von der Bürokratie, der Willkür und der erbarmungslosen Hierarchie in Russland. Bevor man bei uns Fähnchen schwenkt und von Demokratie redet, sollte man in der zehnten Klasse Gogol gelesen haben – 30 Seiten, das ist schnell abgehandelt. Mit Kurzeck zu Bett, dann kommen andere Bilder.

Ruhiger Sonntagmorgen nach unruhigem Schlaf – das Hämatom wandert und es dauert, bis die schmerzarme Position gefunden ist -jeden Tag ein wenig anders. Dafür konnte ich vor dem Frühstück unbeschwert die Teekanne vom Schrank heben. Unter 10 Grad, kühler Tagesbeginn. Die Meisen pulen in den Obstbäumen herum. Viel wildes Brombeergestrüpp. Damit alle wisen, wo sie sind, rufen die Türkentauben laut aus all ihren Eckchen. Die letzten Ferienflieger trudeln ein. In Gruppen ziehen kleine Schäfchenwolken vorüber.

Nach zwei Tagen auf dem virtuellen Rhein‑Main‑Flughafenz kommen mir viele Gedanken. Wenn man sieht, wieviel US-Material da bewegt wird, ahnt man, was die aktuelle Zoll- und Handelspolitik anrichtet. Riesige Airports, die finanziert werden wie früher die Luxusdampfer: ohne die Fernreise-Urlauber würde alles zusammenbrechen. Die streamenden Planespotter von One and More Aviation komplett auf Spezialsachen fixiert: Sonderflüge, ungewöhnliche Lackierungen – da flippen sie aus, die sekundären Beobachter in ihrer Kerosinwolke. 2024 hat der Hessische Rundfunk zu einem der letzten Flüge einer Boeing 767 eine ganze Sendung gemacht. Für die Stewardessen und die Mechaniker ist die Maschine wie eine Wohnung. Die Liebe der Piloten zu ihren Instrumenten … Seltsame, sympathische Symbiosen.

Im DLF ein angenehmes Interview mit der Ex-Tagesschaufrau Aline Abboud. Geboren in der DDR, Tochter einer libanesisch-deutschen Beziehung. Ostbeliner Akademikermilieu, Arabistikstudium Leipzig. Sie erklärt nachvollziehbar die Unterschiede zwischen West und Ost, und warum diese auch für die nach der Wende Geborenen gälten – die Familienbiographien sind immer noch präsent. Gut, dass es eine so klar beschreibende Frau in den West-Mainstream geschafft hat. Seit einer Woche ist sie Pressesprecherin des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Das Tagesschau-Kapitel hat sie ohne Bedauern beendet – man ahnt, warum.

Mathehausaufgaben mit der Jüngsten. Graphen, Sorgfalt. Lernen ist schön, man muss nur die Ruhe bewahren. Später backt der Teenie Bananenbrot, der Sohn verlangte die Verwendung hochprozentiger Schokolade – in Teilen Berlins könnte man 5 Euro das Stück nehmen. Dann noch mal Arnika-Salbe. Der heutige Tag besser als gestern. Precht im Podcast: Leidvermeidung ist die Mentalität von Rentnern.

Am Montag steigt das Thermometer von 4 auf 25 Grad. Die Bauern säen ein, trockenes Geläuf, daher staubig. Dann doch zum Arzt. Der sagt, dass der Hämatomschmerz an der Stelle circa 14 Tage dauert, der Körper baut ungern das gute rote Blut ab. Die Schulter ist voll funktionsfähig, auch an den Rippen ist nichts zu ertasten. Ich soll weiterhin bei Bedarf Ibuprofen nehmen, die Stellen mit Arnika-Salbe einreiben und geduldig bleiben. Meine Familie ist nun beruhigt.

Gute, normale Besorgungsrunde, nur ohne Tiefenatmung. Schwache Nordwestströmung, sehr angenehm in der Sonne. Der Tankstellen-Espresso wieder bei 1 Euro. Preiskampf. Ich bekomme die Nachricht, dass einer meiner Englischlehrer an Hirnblutung verstorben ist, zum Glück ging alles sehr schnell. Er wurde 81. Er vermachte mir mal eine ganze Kiste des englischen Punch-Magazins – ich hüte sie wie einen Schatz. Für mich war das die Einführung in eine völlig neue Welt des Humors. Eine völlig neue Welt überhaupt: die besten Zeichner, Geist, Witz, Schärfe, tolle Werbung. Fünf Umzüge liegen bereits hinter ihr – ich werde die Kiste auch unter meinem letzten Bett aufbewahren.

