Frank Schott, Leipzig
Etappe 4. Morgenstund hat Gold im Mund – also steige ich wieder kurz nach 8 Uhr aufs Rad. Über den Magdeburger Hafen geht es nordwärts. Nur wenig ist so trostlos wie ein abgewirtschaftetes Industriegebiet – abgesehen von einem Schiff auf dem Trockenen.

Über die Elbwiesen verlasse ich die Stadt. An einer Weggabelung halte ich neben einem älteren Ehepaar, das wie ich den Elberadweg sucht. Sie haben das Handbuch dabei – ich die App. Der Mann wirft einen Blick auf mein Smartphone und vertraut ihr: „Es geht rechts rum, der andere Weg ist eine Sackgasse.“ Wir fahren nach rechts.
Ich lasse die beiden rasch hinter mir. Dann muss ich halten. Es ist empfindlich kalt und das liegt nicht nur am Westwind. Ich hole mein Untershirt raus und ziehe es inmitten von Kühen und Krähen an.

Ich glaube, der Elberadweg ist ein Mythos. Wie Fairplay im Fußball oder Sockenpaare, die solange zusammen bleiben, bis die Löcher sie scheiden. Manchmal ist der Weg da, manchmal umgeleitet, manchmal weg und manchmal allgegenwärtig – das heißt, es gibt Kreuzungen, wo in jede Richtung ein Elberadweg führt. Vermutlich wollte jeder Bürgermeister oder Gemeinderat ein Stück des Ruhmes.
Ab und an kommt es einem dann wieder so vor, als hätten sich die Stadtoberen und Gemeinderäte kurz daran erinnert, dass es nicht um ihre Orte, sondern um die Elbe geht, so dass der Elberadweg einen Schlenker zurück zum Fluss macht.
Ich fahre durch Städte, wo lediglich die Post, der Amazon-Fahrer oder durchziehende Radtouristen die Stille durchbrechen. In den Dörfern sind nicht einmal Hunde oder Hühner zu hören. Sämtliche Gasthäuser sind verriegelt. Deutschlandfahnen knattern im Wind.

Teilweise ist der Radweg in schlechterem Zustand als die Straße daneben. Wurzeln haben den Asphalt aufbrechen lassen, Gras nagt an den Rändern. Einige Stellen sind geflickt, viele nicht.

Bei Rogätz nehme ich heute zum ersten Mal die Fähre. Gleich am Ortsrand ist ein Bäcker. Ich darf am Glücksrad drehen und gewinne 10% Rabatt – im Endeffekt die Differenz zwischen „essen im Café“ (19% Mehrwertsteuer) und „mitnehmen“ (7%). Ich entscheide mich für ein belegtes Brötchen und einen großen Kaffee zum Aufwärmen.

Rückenwind bei Tangermünde! Und das Beste: Ich entdecke eine riesige Kolonie von Wildgänsen. Alle schnattern wild durcheinander – wie der Bundestag bei der Rede eines Oppositionspolitikers.

In Arneburg folgt die zweite Flussquerung per Fähre. Überhaupt steht die Etappe im Zeichen des Wassers: Bei Hohenwarte fahre ich unter der Kanalbrücke durch, die den Mittellandkanal über die Elbe führt. Eine unglaubliche ingenieurtechnische Leistung.

Hinter Arneburg wechsel ich vom Radweg auf den menschenleeren Damm. Die Schwalben tanzen im Wind wie die Mücken über einen sommerlichen Weiher. Ich sehe Schafe und Kühe. Ein Polizeiauto kommt mir entgegen. Es erinnert mich an die Krimiserien in ARD und ZDF, deren Namen ich nicht kenne, weil ich sie nicht gucke.

Der kräftige Wind bläst meist von der Seite oder leicht von hinten, so dass ich trotz der gerade erreichten 100 Kilometer in den Beinen mühelos eine Geschwindigkeit von 27 km/h erreiche. Auf dem Damm blühen Wiesenkräuter in allen möglichen Farben.

In Havelberg mache ich Schluss. Das Hotel ist perfekt ausgestattet. Nicht nur gibt es eine Fahrradgarage, diese hat auch einen Ständer und Werkzeug für Reparaturen, große Luftpumpen sowieso.

Die Ordnung muss gewahrt werden, weshalb ich zuerst die Taschen säubere und erst danach unter die Dusche springe. Ich beschließe den heutigen Etappentag beim Griechen – die 3.000 verbrauchten Kalorien wollen aufgefüllt werden.
