Frank Schott, Leipzig

Etappe 3. Kurz nach 8 Uhr geht es von Wittenberg aus Richtung Magdeburg. Der Elberadweg führt nach Norden, Osten und Westen, manchmal auch nach Süden, grundsätzlich aber nordwärts – von der Quelle im tschechischen Teil des Riesengebirges bis zur Mündung in die Nordsee. Meine Mission: Die Antwort auf die Frage eines Freundes: Wohin verschwinden eigentlich die ganzen Radwege?

Wenn ein Banker mit dir über deine Verluste spricht, heißt es: Dein Geld ist nicht weg, es hat nur ein anderer. Das gleiche gilt für die Radwege. Sie sind nicht weg, sondern halt irgendwo anders, sprich: du hast eines der kleinen Schilder übersehen oder von einer der zahlreichen, oft verwirrenden Umleitungen nicht zurückgefunden.


Obwohl ich extra langsam und hoch konzentriert fahre, komme ich auch heute immer wieder von meiner Strecke ab oder muss bei einer Gabelung rätseln, welche der Geradeausspuren denn nun gemeint ist. So verliere ich im Dessauer Straßengewirr komplett die Richtung – und als ich endlich wieder ein Elberadwegschild mitsamt Pfeil entdecke, weiß ich nicht, ob der mich ins Stadtzentrum, zurück nach Wittenberg oder, wo ich ja hin möchte, gen Norden schicken wird.

Ich mache das Naheliegende und orientiere mich an der Elbe. Zwar ist hier nicht die offizielle Strecke, aber ein Wald- und Feldweg verläuft parallel zum Fluss. Besser geht es nicht. Ich werde auch nur einmal aufgehalten – von einer querenden Schafherde, die auf dem Weg zur neuen Weide ist. Ein einziger Hütehund sorgt für Ordnung.

In Stadt an der Elbe mir vier Buchstaben, der erste ist ein A finde ich dann zum Elberadweg zurück. Die Ausweichstrecke war staubiger, aber malerischer. Nach Coswig nehme ich in Aken (= der gesuchte Kreuzworträtselbegriff) zum zweiten, in Barby dann zum dritten Mal die Fähre. Ich sehe zauberhafte Dorf- und Stadtkirchen und wieder jede Menge Tiere, unter anderem zwei Störche, Ponys, Großpferde und anderes Nutzvieh – und selbstverständlich Vögel aller Art.

In Priesteritz trifft man auf das, was einige Leute gerade am liebsten für immer zerstören würden: große Industriebetriebe. Mindestens zwei der Unternehmen, die ich dort sehe, betreiben vor Ort eigene Kindergärten. Ohne diese Arbeitgeber bräche hier nahezu alles zusammen – es gibt in der Region kaum andere Arbeitsplätze. Bei Werksschließung würden die Gemeinden die fehlenden Einnahmen äußerst schmerzlich zu spüren bekommen. Aus den Schornsteinen steigt ein so feiner, sauberer Rauch, dass ich ihn beinahe übersehe.


Was aus den in Betrieb befindlichen Fabriken eines Tages werden könnte, sehe ich dann an riesigen leerstehenden Industriekomplexen inmitten der Wildnis: Stillgelegt und verfallen – möglicherweise ja ein Ausblick auf eine gar nicht allzu ferne Zukunft? Ebenso unvermittelt wie die korrodierenden Fabriksruinen tauchen zig Kilometer weiter grellweiße Statuen auf, die den Radweg ins Nirgendwo flankieren.

Kurz vor 17 Uhr erreiche ich Magdeburg. Gut 120 Kilometer an einem Tag – das reicht. Die Herberge nahe des Bahnhofs ist eher rustikal, alles läuft über PIN-Codes. Einen für uns Gäste zugänglichen Keller oder ähnliches gibt es nicht, also übernachtet mein Rad im Zimmer. Rad und Gepäck sind komplett eingestaubt – da ist Putzen angesagt. Dank der im Bad bereitgelegten Einwegwaschlappen geht das gut von der Hand. Danach springe auch ich unter die Dusche.
