Christoph Sanders, Thalheim
Obwohl ich ganz gut geschlafen habe, ist der Schmerz hinter dem Schulterblatt auch am Donnerstag ein äußerst unangenehmer und hartnäckiger Begleiter. Tiefes Einatmen tut sehr weh, mehr als die kleinen Prellungen rundherum. Ferndiagnose der fachkompetenten Schwägerin: Das hört sich nach einer Rippenprellung an. Zum Glück ist so eine Prellung am Rücken nicht ganz so hinderlich – die letzte war vorne, da war Schwimmen die einzige halbwegs aushaltbare Fortbewegungsart. Diesmal kann ich sogar Radfahren: Nachdem mein übliches Einkausfsrad nun von mir defintiv als unreparierbar eingestuft werden musste, geht es mit einer alternativen Maschine vorsichtig den Berg hinauf. Später loben die Kinder meine Auswahl reifer Nektarinen sowie die Champignons, die mit Roter Beete und Zwiebeln in Weißweinsauce samt Petersilie auf den Tisch kommen.

Unser Sohn holt das wieder hergerichtete Familienauto ab. Um den Chef des Kfz-Services zu erwischen, musste er diesem zwischen Hof, Schrottplatz und Werkstatt mehrfach hinterherfahren – der Meister ist nur selten im Büro. Mein Sohn traf bei der Suche auf diverse Nationalitäten, einige identifizierte er dank seiner youtube-Kenntnisse im Ringen/Martial Arts unzweifelhaft als Tschetschenen. Die Firma gehört einem Aserbaidschaner – wir sind seit gut zehn Jahren Kunde. Inzwischen ist er auch Teilhaber des benachbarten Schrottplatzes. Die genaue Zahl der Geschäftszweige ist unbekannt, es stehen aber immer jede Menge Kunden Schlange bei ihm.

Zur Erholung von der sehr präzisen und dichten Sprache Nabokovs lese ich Jack Londons „Südseegeschichten“. Die Menschenfresser werden Kanaken genannt. Man darf sie als Weißer nicht umbringen – darauf steht die Verbannung auf die Fidschi-Inseln. Trotzdem kommt es immer wieder zu Zwischenfällen auf den Schonern, sodass die Besatzungsmitglieder vor Racheakten auf der Hut sein müssen. Zur Vertuschung werden die umgebrachten Einheimischen als „an der Ruhr verstorben“ oder „ertrunken“ vermerkt. Die Südsee ist neben den dort Geborenen von Abenteurern, Missionaren, desertierten Walfängern, Kaufleuten und Spekulanten bevölkert. Man schachert um Kopra, Palmöl und Perlen. Immer wieder machen Hurrikane die Investitionen zunichte. Am Abend frischer Kopfsalat aus der Pfalz.

Gegen fünf kann ich mich endlich schmerzfrei auf die Unfallseite drehen. Ich falle sofort in den Tiefschlaf. Nach einer guten Stunde stehe ich auf und bringe die Kinder zur Schule. Zwei Stunden später sitze ich auf dem Rad. Es fährt sich allmählich besser, nur bei den steileren Passagen muss ich auf das kleine 30er Blatt umschalten – das Ziehen am Lenker und die Tiefenatmung wären zu schmerzhaft.

Ein Nieser ist momentan wie ein Dolchstoß; das Hämatom wandert langsam; die Schulter ist vorn gelbgrün. Schonhaltung des Tages: Gegen das große Kissen gelehnt schaue ich Beigbeders exzellente Interviews mit Eric Neuhoff (über einen Verkehrsunfall) und Christine Angot (über den Machtmissbrauch im Literatur- und Kunstbetrieb). Beigbeider zitiert Balzac – die ganze Comédie Humaine sei nur eine Geschichte der Volksdrogen: Tee, Kaffee, Zucker, Alkohol, Kakao!
Ein kühler Freitagbend. Die Kinder sind zufrieden mit der ersten Schulwoche. Die Jüngste brauchte etwas Anlauf, um sich in der vollkommen neuen Klasse zu orientieren. Jetzt sitzt sie vorne.

Später tauche ich in die Parallelwelt der Planespotter ein. Die Seite One and More Aviation zeigt Airport-Livestreams und hat zigtausend Abonnementen. Jedes Flugzeug, das ankommt und abfliegt, wird stundenlang gefilmt und alle Vorgänge drumherum minutiös und kenntnisreich kommentiert. Ich sehe einem Fäkalien-LKW-Fahrer dabei zu, wie er per Schlauch den Abwassertank eines Fliegers leersaugt. Sehr interessant.
Nun langsam bettwärts und schnell gesund werden – schon, um den Sohn zu beruhigen, der sauer ist, weil ich partout nicht zum Arzt will. Auch der Teenie schrie: Vater, noch sechs Tage nach einem Unfall kann man eine Thrombose bekommen!
Drinnen wie draußen ist es heiter bis wolkig.
