Frank Schott, Leipzig
Unser Familienurlaub ist vorbei, für mich geht es nun solo weiter. Um 6:30 Uhr klingelt der Wecker. Die zwei Fahrradtaschen sind prall gefüllt, vermutlich habe ich viel zu viel dabei, aber die elektronische Zahnbürste passt gerade so noch hinein – ein bisschen Komfort. Bevor meine Elbe-Tour richtig beginnt, muss ich zum Bahnhof.

Die Bahn macht Bahndinge: Auf der einstündigen Fahrt nach Dresden sammeln wir zwölf Minuten Verspätung. Umsteigen in Neustadt. Der Lokführer erlaubt sich wohl einen kleinen Scherz: Die Türen öffnen sich nicht. Blick in den Nachbarwagon – auch dort irritierte Gesichter. Dann fährt der IC etwa 20 Zentimeter und ist nun offenbar vorschriftsmäßig eingeparkt. Die Türen öffnen sich. Im letzten Moment reicht mir ein aufmerksamer Herr meine Trinkflasche zu – die hatte ich am Platz vergessen.
Es ist meine erste Reise dieser Art. Die Routine fehlt noch.

Im anderen Zug treffe ich zwei weitere Radtouristen. Sie wollen von Bad Schandau nach Roßlau, eine Zwei-Tage-Tour. Sie waren gerade in der Gegend um Hamburg unterwegs: „Fährt sich gut. Du darfst halt keinen Gegenwind haben.“ Der andere ergänzt: „Regen ist auch Scheiße.“ „Aber dafür gibt es viele Schafe.“ Drei E-Bikefahrer stoßen zu uns. Ihre Räder sind zu groß, um sie im Wagon einzuhängen, also sie lehnen sie diese ans Fenster. Wenn man mit solchen Vehikeln eine Treppe hoch muss, ist das bestimmt eine elende Schlepperei.

Bad Schandau. Endlich aufs Rad. Los gehts! Von meiner Elbseite aus habe ich einen großartigen Blick auf die Festung Königstein. Die Orte, die ich durchfahre, sind anheimelnd und kompakt.

Weil ich eine Abbiegung verpasse, stehe ich plötzlich mitten in einem Wald. Da es über Stock und Stein geht, muss ich das Rad mindestens die Hälfte der Strecke schieben oder gar tragen, was mit den beiden schweren Gepäcktaschen kein Vergnügen ist. Zwischen den Bäumen entdecke ich Hütten. Wenn diese bewohnt sein sollten, müsste man Lebensmittel und anderes mühsam herschleppen. Es sei denn, es gibt Schleichwege für Autos, die ich übersehen habe.
Nach zwanzig Minuten kann ich wieder regulär fahren. Wehlen, Pirna und schließlich wieder Dresden. Nun aber per Rad. Ich bin so ausgedörrt, dass die Flasche Wasser, die ich im Aldi kaufe und sofort trinke, umgehend verdampft. Wo einst die Carolabrücke die Elbe überquerte, stehen Baufahrzeuge. Es gibt viele Umleitungen.

Hinter Dresden sehe ich die beiden Radfahrer aus dem Zug wieder, kurz vor Meißen verlieren wir uns aus den Augen. Um 14:15 Uhr esse ich eine Kugel Eis und trinke ein Radler. An den Sandsteinfelsen am linken Elbufer wächst Wein. Ich fahre weiter Richtung Riesa. Das sind nur knapp 30 Kilometer – ich überlege, ob ich es heute noch bis Torgau schaffe. Daraus wird allerdings nichts – denn nun beginnt meine Pechsträne: Erst rutscht die Kette ab, dann bekommt das Schaltwerk einen Schlag. Die Folge: Der hintere Zahnkranz läuft nur auf dem kleinsten Rad. Ich muss permanent im höchsten Gang fahren. Zwar kann ich die beiden vorderen Zahnräder benutzen, aber das strapaziert die Kette. Der Navi sagt mir, dass die nächste Werkstatt in Riesa ist. 11 Kilometer – machbar. Ich fahre los. Bis auf einmal der Weg gesperrt ist. Ich muss hoch auf die Bundesstraße. Ich befrage nochmals das Internet: Im nur 2,5 Kilometer entfernten Nünchritz gibt es eine Zweiradwerkstatt, die geöffnet ist. Meine Rettung? Mal schauen. Denkste – geschlossen. Durch das Fenster sehe ich, dass dort sowieso nur Mopeds repariert werden. Weiter.

Im Ort sind zwei Supermärkte, die ich trotz meines mörderischen Dursts ignoriere. Ich muss einen Weg nach Riesa finden. Rauf auf die Bundesstraße. Das ist der kürzeste Weg. Der wird dann aber zur Schnellstraße – nichts für mich. Der Navi schlägt einen Feld- und Waldweg vor. Der ist total zugewachsen – kein Vergnügen mit defekter Gangschaltung. Irgenwann sehe ich andere Radfahrer – ich muss hier richtig sein! Schließlich bin ich in der Werkstatt. Innerhalb weniger Minuten wird alles gerichtet und neu eingestellt. Ich fülle in der Toilette zweimal meine Trinkflasche auf und leere sie sofort wieder. Am Ende ist der Service sogar gratis, was mich zusammen mit dem frischen Wasser Mut für die weitere Reise schöpfen lässt.

Doch für heute war es das. 116 Kilometer zeigt meine Fitnessuhr an. Übers Internet buche ich ein Zimmer, springe schnell unter die Dusche und gönne mir anschließend einen großen Döner-Teller.
Das Ziel für morgen lautet Lutherstadt Wittenberg.
