Helko Reschitzki, Moabit

Kurz nach acht ist die Wassertemperatur bei 21 und die der Luft bei 13 Grad. Atemwölkchenmorgen im Schwalbensommer. Am Montag und Dienstag Schwimmen im Regen: einmal in ultrakurzen Schauern, das andere Mal im allerfeinsten Niesel. Meine Sitzunterlage für die Seebank trocknet gar nicht mehr richtig. Klamme Tage im August.

Eine Mitschwimmerin bestätigt meine Buchtbeobachtung der letzten Tage: Eines der beiden Blässhuhnküken aus der zweiten Brut hat nicht überlebt. Sie berichtet außerdem, dass alle acht Jungen der Mandarinente, die sich vor einer Weile an unserem Seefleckchen aufhielt, tot sind. Hauptursache des Frühtodes der Wasservögel am Schlachtensee sind Angriffe von nicht angeleinten Hunden. Zum Problem des Freiumherlaufens kommt hinzu, dass viele der Besitzer gar nicht mehr im Kontakt mit ihrem Tier und der Umgebung stehen, da sie die ganze Zeit auf ihr Phone starren. Wie andere Süchtige sind sie kaum noch empfänglich für Dinge, die nicht direkt mit der Droge zu tun haben. Dieses Phänomen zieht sich quer durch Dörfer und Städte, durch ziemlich alle Milieus und Altersstufen, und breitet sich wie ein Geschwür aus. Ich sehe Eltern, die ihr Kind wegen irgendwelcher Chats, TikToks, Pushs, Stories, Games oder Likes komplett ignorieren – das Dopamin-Level muss gehalten werden, Adrenalin und Endorphine den Körper fluten. Da setzen dann (wie bei anderen Abhängigen) uralte Instinkte aus. Einmal nahm mir eine Krankenschwester Blut ab und schrieb dabei Kurznachrichten …. Nachdem es zunehmend zu Unfällen kam, bei denen solcherart abgelenkte Fußgänger in den Fahrzeugverkehr liefen, hat man, um die Digital-Junkies besser zu schützen, in China bodennahe Ampeln mit zusätzlichen visuellen und akustischen Signalen eingeführt. Höchstwahrscheinlich werden es vermeintlich Rückständige wie die Amischen sein, die mal den Fortbestand der Menscheit sichern.

Am Sonnabend trat bei unserem Hoffest ein Zauberer auf. Nachdem er die Vorstellung für die Kleinen beendet hatte, blieb er noch ein wenig bei uns Erwachsenen sitzen, zeigte weitere Tricks und sprach über seine Arbeit. Durch den Vortrag eines Kriminalbiologen hat er mitbekommen, dass manche Täter Zauberkunststücke nutzen, um Kinder in einen Hinterhalt zu locken – seitdem ist ihm die besondere Verantwortung seines Berufsstands bewusst, der schmale Grat zwischen der Herstellung einer Illusion und der Warnung vor der darin liegenden Gefahr. Auf einer Feier führte er einmal einen Trick vor, um den herum er die Geschichte erzählte, wie ein Finsterling alle Farben von der Erde verschwinden lässt. Als er mit seinem Auftritt fertig war, sagte ein Mädchen zu ihm, dass es gerade das erste Mal gewesen wäre, dass sie einen Zaubertrick gesehen hätte. Daraufhin er: Du warst noch nie vorher in einer Zaubervorstellung? Das Mädchen: Doch, ein paar mal schon, aber da habe ich den Trick nie gesehen – ich bin nämlich blind. Durch deine Geschichte mit den Farben konnte ich das aber vorhin alles ganz genau erkennen.

