Helko Reschitzki, Moabit

Seit Sonntag gehts wieder in alten, rissfesten Klamotten an den See – die Brombeeren sind reif! Zwei Handvoll nach dem Schwimmen, am in den 1870ern aufgeschütteten Hochdamm, wo die Wetzlaer, die Stadt- und die Wannseebahn fahren; eine Viertelstunde von meiner Bucht entfernt. Der Weg führt steil hinauf, fällt ab, geht wieder rauf – 14,5 Meter Höhenunterschied. Die Hecken stehen auf dem Plateau der 15.000 bis 20.000 Jahre alten Hügel, die sich aufhäuften, als während der Weichsel-Eiszeit das Schmelzwasser abströmte und unter hohem Druck die Grunewaldrinne ins Gelände schnitt. Das alles erinnert mich – und ist ja auch – die Endmoränenlanschaft meiner Kindheit und Jugend in Mecklenburg. Ich bewege mich über die Hänge ohne zu überlegen – auch Füße haben ein Gedächtnis. Vorteil des vielen Regens zur Zeit: Die Brombeeren sind gewaschen. Die Früchte an den wildschweinumwühlten Büschen unten auf der Rehwiese sind noch grün-gelb – das streckt die Erntezeit. Sehr gut!

Strategien, mit den aggressiven Blässhühnern umzugehen: Die kaum betroffenen Schwäne zeigen ab und an das reale Kräfteverhältnis an, pesen kurz hinterher, hacken mit dem Schnabel. Die oft gejagten Stockenten halten vorsorglich Abstand oder fliehen im Notfall. Die Haubentaucher, die meist in Ruhe gelassen werden, ignorieren das Ganze. Außer eines der Jungen: Das hat justament herausgefunden, dass es die adulten Blässrallen unauffällig antauchen und dann von unten überrumpelnd anrempeln kann, was sofort mehrmals getestet wird. Das Blässhunhn wehrt sich, verfolgt den Angreifer. Diesem eilt ein Elternteil zur Hilfe, stupst den Nachwuchs aus der Kampfzone. Kurzer Tumult – schnelle Lageberuhigung. Das Jungtier brachte vorher schon die eigene Familie durcheinander. Es gibt solche Tage.

Buchtgespräche: Als ich den Sachsen frage, ob er heute ohne seine Frau da sei, wischt er weit über den See: „Die ist noch im Wasser.“ Er zeigt vor uns: „Aber die Rotfedern sind wieder da! Und hinten rechts, vielleicht 50 Meter weg, steht der Karpfen. Obwohl das Wasser klarer ist als hier. So groß ist der.“ Aus der Himmelstrübnis fallen Schwalben, schießen sofort wieder auf. „Am Schilfrand müssen die irgendwie Auftrieb bekommen, die steigen immer an derselben Stelle hoch. Da muss eine besondere Thermik sein.“ Mit einer Dame unterhalte ich mich über die Blässhühner und deren konfrontativen Revierabgrenzungen gegenüber den Stockenten: „Vielleicht fressen die das Gleiche?“ Die Schwärze der Muttererde erstaunt sie; sie hat Angst, dass vom Starkregen „Hundebakterien“ mitgeschwemmt worden sind. Die Leuchtköpfe und schon ziemlich großen Füße der zweiten Blässrallenbrut erfreuen alle. Entspannte Leute, die vor oder nach der Arbeit, in ihrer Pause, im Urlaub oder im Rentneralltag zum See gehen und dort miteinander über das reden, was sie mit eigenen Augen sehen, mit ihren Ohren hören, mit den Nasen riechen. Informationsbörse, Thesenabgleichsort. Was noch im Dunkeln liegt, wird gemeinsam erhellt. Rätsel bleiben. Wie schön.

