Frank Schott, Leipzig
Eigentlich wollte ich gar nicht laufen. Aber meine Frau schickte mich raus, damit sie ihre Ruhe hat. Auf meine Standardstrecke hatte ich keine Lust – zu viele gepflasterte oder geteerte Teilabschnitte. Deswegen entschied ich mich, im Leipziger Auenwald zwischen Pleiße und Elsterflutbett zu laufen.
Ausnahmsweise trainieren heute keine Wassersportler. An der Uferböschung blüht die Schafgabe, dazwischen sehe ich purpurne Farbtupfer, die ich nicht zuordnen kann. Es sind bereits 27 Grad an diesem Vormittag. Das Elsterufer bietet kaum Schatten, nur wenige Menschen sind unterwegs. Ein Mann zieht einen mit Getränken beladenen Handkarren hinter sich her. Auf dem Weg zu einer Party?

Party ist jetzt jeden Abend auf der Baustelle der Karl-Liebknecht-Straße. Ein Teilstück der Straßenbahnstrecke wird erneuert. Trotz der Absperrungen, ausgeschachteten Gräben und pausierenden Baumaschinen zieht es jeden Abend Feierlustige, am Wochenende mehrere hundert Menschen, auf die Baustelle. Der Alkohol fließt in Strömen. Bier, Wein, Sekt, aber auch harte Spirituosen. Geht der Stoff zur Neige, holt man sich vom Spätkauf Nachschub. Die Läden machen den Umsatz ihres Lebens. Die Baustellenparty ist gelebte Verachtung gegenüber den Straßenbauern. Denn diese müssen jeden Morgen die Scherben und den Müll der Nacht wegräumen. Die Stadtreinigung kommt hier während der Bauarbeiten nicht vorbei.
Am Wochenende wird bis in die frühen Morgenstunden gefeiert. Der Lärmpegel entspricht dem einer stark befahrenen Straße. Bis in die Nebenstraßen hinein müssen Anwohner trotz der Hitze die Fenster schließen, weil der Krach schlimmer ist als die Hitze.

Stichwort Hitze: Im Wald ist es angenehm kühl. Vereinzelt sind noch Pfützen vom Starkregen der vergangenen Tage zu sehen. Die tragen beim Verdampfen ebenfalls zur Abkühlung des Waldes bei. Links neben mir schimmert ein Wasserarm durchs Laub.
Auf dem Rückweg stoße ich auf ein weiteres Beispiel Leipziger Unvernunft – diesmal verursacht durch bürokratische Vorschriften. Weil im Auenwald Eisvögel brüten, ist das Befahren bestimmter Abschnitte von Pleiße und Floßgraben nur zu festgelegten Zeiten erlaubt. Infolgedessen kommt es an der Schleuse regelmäßig zu Ansammlungen von Booten, die darauf warten, dass die Gewässer wieder freigegeben werden.

Mit der Öffnung des Schleusentors schießen dutzende Paddelboote und Kanus gleichzeitig in das Schutzgebiet. Kinderlärm, Lachen und laute Gespräche – dazu die Geräusche der Paddel, die das Wasser durchpflügen: Als Eisvogel wäre mir ein gelegentliches Boot lieber als diese stundenweisen Lärminvasionen. Aber die Bürokratie liebt nun mal ihre Regeln. So ist es dem Eisvogel immerhin gestattet, von 11 bis 13, von 15 bis 18 und von 20 bis 22 Uhr ungestört zu brüten. Für die Zeit dazwischen muss er sich wohl ein Hobby suchen.
