Christoph Sanders, Thalheim

Ankunft im letzten Licht des Montags kurz vor einer Wetterfront. Die Prignitz wirkt, als sei die Zeit um 2010, unmittelbar nach Beendigung der großen Infrastrukturprojekte, stehengeblieben. Über Kilometer Mietshauskomplexe alten Stils. Willkommen im Reich des roten Backsteins. Bei Genthin riesige verwaiste Gewächshäuser. Erste Besorgungen im Burger Einkaufsgebiet. Wie in den französischen Hypermärkten findet sich im Marktkauf absolut alles, was man dann auf den nächsten fünfzig Kilometern nicht mehr bekommen wird. Flaches Land, viel Grün – ich bekomme beinahe Great-Plains-Vibes.

Auspacken. Kiefernduft bei offenem Fenster. Um uns herum die vollkommene Ruhe, wenn man mal von den Hahnenschreien absieht. Langsam Ankommen – und die verpasste Tour-Etappe nachschauen.

Am Dienstag in die Metropole Havelberg: eine Kaserne und vier, fünf Läden. Das Antiquariat dichtgemacht. Üppiger CD-Fund in einem Verschenkkarton. Auf der Hauptstraße von Bad Wilsnack der wohl letzte Bäcker der Stadt – wir werden ihn besuchen. In Nitzow gibt die diesjährige Internationale Kammermusik Akademie am Samstag ihr Abschlusskonzert. Atlantische Luft, die vier Stunden Sonnenloch von uns gut genutzt. Auf dem Dachboden trocknet die Wäsche. Aus einer Flasche Saftkonzentrat und jeder Menge Mark fünf Gläser Johannisbeergelee eingekocht. Die Normaluhr tickt überall weiter.

Am Mittwoch Besuch beim Fahrradbauer in Groß Lüben. In einem umgebauten Stall DDR-Drehbänke und Bohrständer voller Antifa-Aufkleber. Er im Joy-Division-Shirt. Fachsimpelei. Meine Erkenntnis: Die DDR hat auch eine völlig anders geartete Alternativkultur als der Westen hervorgebracht. Etwas, das ein wenig wirkt, wie die frühen 70er in der BRD, doch sich davon vollkommen unterscheidet. Eigene Codes und eine eigene Sprache – ich musste öfter mal nachdenken. Eine Suche nach Sinn und Lebensentwürfen, die nicht wie bei uns vor allem von der Opposition gegen die Elterngeneration ausging oder den großen Überbau der Gesellschaftsveränderung hatte – eher den Wunsch, in aller Konsequenz das für sich Richtige zu tun.

Familienausflug an die Havel und Elbe. Dramatischer Reifenplatzer, so dass der Materialwagen kommen muss. Gelungene Fortsetzung der Fahrt mit nur einem weiteren, kleinen Zwischenfall: Girl Teenie hatte unter I-Music-Berieselung die Abfahrt verpasst – Google Maps hilft ihr umgehend aus der Patsche. Aufatmen im Paradies. Stille Dorfstraßen, ab und an hat ein Bäckerladen überlebt. Metallsucher ernten die Stoppelfelder ab. Unter einem wunderbaren Elbhimmel schwimmt ein Fischotter von dannen. Radwanderer im Abendlicht.

