Christoph Sanders, Thalheim

In der Nacht auf Sonntag erwische ich nach 320 Kilometern und 15 Stunden auf dem Rad um 0:21 Uhr in Speyer die letzte Bahn nach Norden. Wegen einer Prellung am rechten Knie musste ich die Tour nach ungefähr der Hälfte vorzeitig beenden; meine drei Kameraden vom Kontrollpunkt Aral kreuzen nun ohne mich weiter durch die pfälzische Pampa. Nach einem Aufenthalt in Ludwigshafen, wo ich mich eine Stunde auf dem leeren Marmorbahnhof herumtreibe, komme ich um 2:43 Uhr in Mainz an. Jetzt brauche ich noch einen Schlafplatz bis zum Morgengrauen, danach geht es weiter nach Frankfurt, wo um 7:21 Uhr mein nächster Zug abfährt.

Neben der Ausfallstraße nach Wiesbaden werde ich fündig. Dort haben sich am Parkplatz eines Metro-Markts Mitarbeiter in einem ausrangierten Unterstand für Einkaufswagen eine Art Pausenlaube gebaut. Zwei Gartenholzbänke, ein Tisch, den ein Werbeplakat für Wein bedeckt, überall Zigarettenstummel. Entscheidend sind die Bank und etwas Schutz vor dem Wind. Ich liege äußerst unbequem auf den drei Holzplanken. Wegen der Zugluft kreuze ich die Arme, die Beine sind fest aneinander gepresst. Mehr als Dösen ist da nicht drin. Außerdem punktiert der Krach vom nahen Autobahnzubringer alle Schlafversuche: Das Beschleunigen eines Lamborghinis; gefolgt von einem anderen Sportwagen, der mit seinen durchdrehenden Antriebsrädern solange Kreise brennt, bis das Reifenquietschen von Schotterprasseln abgelöst wird – auf Plattreifen rumpelt das Auto an mir Richtung Stadt vorbei. Später dann noch ein paar schreiende Jugendliche, die sich im Vollsuff nichts schenken …

Schon kommt die Morgenbrise auf, der Himmel ist tiefblau. Es wird kühler und kühler, ich wechsle die Liegerichtung, das Zittern bleibt. Ich muss aufstehen und wieder aufs Rad. Arme ausschütteln, eine halbe Tafel Rittersport Mandel. Und weiter: Im allerersten Licht des Tages entlang der Autobahn durch die Felder auf Frankfurt zu. Um kurz nach fünf geht über dem Wiesbadener Kreuz die Sonne auf.

Das Knie schmerzt nach wie vor – weil ich kurz vom Navi abgelenkt war, bin ich am Abend zuvor mitten im Odenwald auf einen, zum Glück stehenden, Transporter geknallt. Die Frauen auf der anderen Straßenseite waren sehr über meinen Zustand besorgt. Die nächsten Tage muss ich die Gabel vom Rad richten lassen, wie es dann mit dem Knie aussieht, wird sich zeigen. Ich bin eine Dreiviertelstunde vor Abfahrt am Bahnhof und kann so noch das wunderliche Treiben in der von der Frühsonne durchfluteten Halle bestaunen: Überall klackernde Rollkoffer, Abschiede, Ankünfte, Pfadfinder …

Am Start- und Zielort Gießen belohne ich mich mit einem Gang über den gewaltigen Flohmarkt. Ich bekomme Audio-Leerkassetten und ein originalverpacktes Rasierwasser. Die durchziehende Regenfront hätte mich auf dem Rad voll erwischt. Am Sonntag Regeneration. Das alte Davidoff vom Trödelstand rundet die Rasur ab.
