Helko Reschitzki, Moabit

Am Donnerstagmorgen nach zwei heißen Tagen beim Gang aus dem Haus plötzlich die Stimme Robert de Niros in meinem Kopf: „Thank God for the rain to wash the trash off the sidewalk …“ S-Bahnfahrt zum Schlachtensee – Schwimmen im Regen. Beim Vogelnachwuchs kann man weiterhin minimalste, daumenkinoartige Entwicklungen beobachten, was ich sehr spannend finde. Aber auch manch Homo sapiens ist interessant, so zum Beispiel der Mann, der gegen 6 Uhr mit einem Detektorstab das nördliche Ufer nach Geldstücken und Schmuck absucht. Er erzählt, dass er auf so einer Runde ungefähr 20 Euro macht – was mehr sein könnte, wenn er früher aufstehen würde, so ist immer schon einer vor ihm vor Ort. Er schätzt, dass es ungefähr 100.000 Sondengänger in Deutschland gibt – deren Zahl massig zugenommen hat, seit der Goldpreis durch die Decke geht.

Da sie befördert wurde, lädt unsere Bundeswehrkrankenschwester einen Mitspieler und mich nach dem Tischtennis auf ein Eis im Volkspark Wilmersdorf ein. Gelegenheit, ihr alle Fragen zu stellen, die ich schon immer mal jemandem aus dem BWK stellen wollte: Gibts Probleme, wenn der Patient ranghöher ist? Nö, der hat sich einzuordnen. – Tragt ihr Kittel oder Uniform? Kittel mit speziellen Schulterklappen. – Schwierigste Zivilisten? Familien, wo einer was hat, aber dreißig aufgeregte Cousins mit in die Klinik wollen (fliegen raus). Am Parkimbiss Reklame für Hundeeis – überall Parallelwelten!

Am Freitag habe ich wieder in Neukölln zu tun – der Gegensatz Karl-Marx-Straßen-Moloch zum dörflichen Böhmisch-Rixdorf mit seinen alten Stallungen, der Schmiede usw. ist wie immer atemberaubend. Nur ein paar hundert Meter liegen zwischen den unterschiedlichen Welten. Transitzone ist die Richardstraße, wo ich mir aus einem Antiquariat, das nur Biografisches verkauft, drei Bücher mitnehme: den Bericht der Magd Anna Widén, die, nachdem die Hofbesitzer gestorben waren, jahrzehntelang autark in der norwegischen Wildnis lebte, die Erinnerungen des berliner Arztes und Pockenimpfpioniers Ernst Ludwig Heim, sowie die Erfahrungen des englischen Chirurgen Joshua Samuel Horn über seine Zeit als Landarzt und Ausbilder der sogenannten Barfußärzte in der VR China in den 1950er und 1960er Jahren, die Bekämpfung von Infektionskrankheiten, die Verbindung von traditioneller chinesischer und moderner westlicher Medizin, die Kampagnen zur Verbesserung der Hygiene und Prävention und den Aufbau eines kostenlosen staatlichen Gesundheitssystems. Sich links verortende Westler im Gefolge Maos sind eine interessante Spezies; bin sehr gespannt, ob er auch Kritisches geschrieben hat …

Der einzige Mensch, den ich bislang im Trikot unserer Fußballfrauen gesehen habe (und das bereits zwei Tage vor dem ersten deutschen Spiel), ist die Asiatin in der Edeka-Sushibutze – was auf mehreren Ebenen einfach schön ist. Das Match gegen Polen ausgeglichen, unsere östlichen Nachbarinnen hervorragend eingestellt, am Ende entschied wohl die individuelle Klasse – Deutschland gewinnt 2:0. Das Tor von Jule Brand großartig – bei mir als Linksfuß doppelte Freude. Gute Besserung Giulia Gwinn! Nachdem ich den großen Fehler machte, die Partie in der ARD anzuschauen, werde ich nun wieder auf ausländische Sender zurückgreifen – das Niveau hiesiger öffentlich-rechtlicher Fußballreportagen ist immer noch unerträglich.
