Helko Reschitzki, Moabit

Am frühen Sonntagmorgen picken eine große Nebelkrähe und eine kleine Elster auf der Putlitzbrücke an einer halbgefrorenen Lache aus Erbrochenem. In der Nacht sank die Temperatur auf null Grad – auch die Hunde haben nun immer öfter ihre Thermoklamotten an. Niemand hat je behauptet, dass der Berliner Winter Spaß macht. Am Schlachtensee sind es dann sechs Grad, im Wasser knapp dreizehn. Das hat den Effekt, dass ich vom Kälteren ins Wärmere gehe. Wie schon am Vortag scheint eine noch immer gut wärmende Sonne. Wirklich jeder, den ich treffe, hebt das sofort hervor und freut sich zudem über die Farbenpracht und Fülle des Laubs. Man kann kaum den Übergang vom Land zum Wasser sehen. Ein schöner Oktober.

Die beiden Sachsen machen auf ihrer Runde um den See ab sofort nur noch kurz Rast in unserer Bucht – sie gehen jetzt am anderen Ufer ins Wasser, da das dichter an ihrer Wohnung liegt und sie auf dem Rückweg dann nicht so auskühlen. Die Wege nach dem Baden sind die eigentlichen Knackpunkte, weniger die Wassertemperatur. Ich werde die ultrapräzisen Tierrapporte des Mannes vermissen.

Am nördlichen Ufer hat jemand aus Blüten ein Muster gelegt, das wie ein Symbol aussieht. Könnte die erschöpfte Businessfrau aus Bali gewesen sein, die ich einmal bei einem Blütenritual im Wasser beobachtet habe. Wenn es sich dabei um Canang-Sari-Opfergaben handelt, soll das rote Element Leidenschaft, Lebenskraft und Energie symbolisieren, und das grüne für Heilung, Harmonie und Wachstum stehen. Wenn ich sie mal wieder treffe, werde ich sie danach fragen. So oder so erfreue ich mich an dieser kleinen Alltagsverzauberung.

Zu den Stockenten in der Bucht haben sich nun zwei Blässhühner gesellt. Ganz anders als noch im Sommer gibt es dabei überhaupt keinen Stress. Eine Stockente und ein Erpel entfernen sich immer öfter vom Schwarm, um gemeinsam nach Nahrung zu suchen. Dem Gründeln folgt die Familiengründung – zumindest bis zur Eiablage. Je länger ich auf Kormorane blicke, desto mehr fühle ich mich mit den Jahrtausenden vor uns verbunden. Paläontologen sagen, dass diese Vögel seit ungefähr 30 Millionen Jahren existieren. Bei ihrem Anblick spüre ich etwas, dass ich bei anderen Tieren nicht verspüre.

Nachrichten der Woche: „Durch die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) erfahren viele gesetzlich Versicherte erstmals, was Ärztinnen und Ärzte tatsächlich über ihren Gesundheitszustand dokumentiert haben und stoßen dabei auf Überraschungen: Sie finden Fehler oder sogar erfundene Krankheiten.“ (WDR) Hat mir nie jemand geglaubt. +++ 2024 wandte sich ein ehemaliger Mitarbeiter des Robert Koch-Instituts anonym an die Journalistin Aya Velázquez und übergab ihr vollständig und ungeschwärzt die Protokolle des internen Corona-Krisenstabs plus 10 GB Zusatzmaterial, das u.a. die Mails zwischen dem RKI und dem Bundesgesundheitsministerium enthält. Nun ist es Velázquez gelungen, per IFG-Klage Einsicht in die E-Mails der geheim tagenden Arbeitsgruppe „AG Impfpflicht“ zu erlangen. Die Arbeitsgruppe bestand aus Bundestagsabgeordneten der damaligen Regierungsfraktionen SPD, Grüne und FDP, Leiter war Gesundheitsminister Lauterbach. Auch das ist ein Datenschatz, der gründlich ausgewertet werden muss. Nur auf dieser Grundlage ist eine seriöse Aufarbeitung der Maßnahmen möglich – das Festhalten an längst widerlegten Narrativen wird unsere Gesellschaft (neben anderen Themen) immer weiter spalten. Eigentlich wäre das eine klassische Aufgabe für den Öffentlich Rechtlichen Rundfunk. +++ In der Wochen-taz einer der wichtigsten Artikel des Jahres – Eva-Lena Lörzer schreibt über ihren demenzkranken Vater und streift dabei viele uns unangenehme Themen: Umgang mit dem Verfall eines geliebten Menschen, die eigene Hilflosigkeit, das Ausgebranntsein, Pflegekrise, die Lage in den Heimen, Pflegeroboter, Sterbehilfe … Unbedingt lesen – so etwas findet sich selten in der Zeitung. +++

