Walter Kintzel, Parchim
Gemeine Wegwarte

Die Gewöhnliche Wegwarte (auch „Zichorie“ oder „Lichtblume“) ist mit ihren blauen Blüten von Juli bis September ein Schmuckelement der Wegränder. Die Farbe blau, im Volksmund das Symbol der Treue, erinnert der Legende nach an das Mädchen, das immer noch am Feldessaum auf ihren in die fremde gezogenen Liebsten wartet.
Noch prosaischer ist der Pflanzenkundler. Der Altmeister der hiesigen Botaniker, Walter Dahnke, schrieb in seiner „Flora des Kreises Parchim“: „Gemeine Wegwarte, mecklenburgisch Zigurn, wild an Wegen, Bahndämmen auf Schutt usw. Kaum noch angebaut, alle Vorkommen entstammen wohl altem Anbau. In Parchim war ca. 100 Jahre lang eine Zichorienfabrik.“
In der freien Natur bildet die Wegwarte (Cichorium intybus L.) eine eigene Pflanzengesellschaft – das Wegwarten-Wegrandgestrüpp. Sie ist dabei das dominierende Element dieser typischen Wegraine-Gesellschaft, zu der auch Arten wie die Gewöhnliche Schafgarbe, das Deutsche Weidelgras, der Gewöhnliche Beifuß und Vertreter der Wegeriche gehören.
Interessant für den Beobachter ist die Wegwarte insofern, als dass sie sonnenempfindlich ist, ihre Blütenköpfe zur Sonne dreht und um die Mittagszeit ihre Blüten schließt.

Im Mittelalter galt die Wegwarte auch als Heil- und Zauberkraut. Sie ist eine alte Kulturpflanze, die züchterisch verändert wurde. Zur Blattnutzung sind drei Kulturformen gezüchtet worden: Chicorée, Zichoriensalat (auch „Fleischkraut“ genannt) sowie Radicchio.
Uns interessiert die Züchtung, die das Ziel hatte, eine Verdickung der Wurzel zu erreichen. Ein Wurzelextrakt verlieh im gerösteten Zustand dem damals teuren Bohnenkaffee die Bitterkeit (Kräftigkeit) und die dunklere Farbe. Etwa ab Mitte des 18. Jahrhundert wurde sie ein eigenständiges Getränk gebraucht und wurde so zum „Kaffee des Kleinen Mannes.“ 1763 wurden große Kulturen um Magdeburg, Breslau und Berlin angelegt. Es sind zwei in der Wurzel enthaltene Stoffe, die zum feldmäßigen Anbau führten: Das Glykosid Cichoriin, ein zusammengesetzter Naturstoff mit einer Zuckerkomponente, das etwas bitter schmeckt, und der Vielfachzucker Inulin, der für den angenehmen Geschmack des gerösteten Substrates verantwortlich ist. Inulin kommt übrigens auch in den Wurzelknollen der Dahlie vor und kann in Fruchtzucker gespalten werden.
Mit zunehmender Bevölkerung gab es in Deutschland eine verstärkte Nachfrage nach Zichorienkaffee. Das führte dazu, dass in Parchim 1804 eine Zichorienfabrik gegründet wurde. Mit ca. 60 Beschäftigten und der Vergabe von Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten an die einheimischen Handwerker hatte diese Fabrik rund 130 Jahre eine große wirtschaftliche Bedeutung für die Stadt. Durch den Anbau der Zichorie auf den Feldern verschiedener Dörfer der Umgebung wurde etlichen Landwirten über viele Jahrzehnte eine Einnahme garantiert.

Als echter Kaffee und dessen synthetische Alternativen leichter verfügbar waren, verlor der Zichorienkaffee an Bedeutung und wurde meist nur noch in Notzeiten konsumiert. Seit ein paar Jahren erlebt er eine kleine Renaissance als Bioprodukt. Das Inulin aus den Wurzeln, wird als präbiotischer Ballaststoff geschätzt und findet Verwendung in sogenannten Fitnessriegeln oder Diätprodukten. Zichorienblätter wie Chicorée und Radicchio sind inzwischen ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der europäischen Küche.
2005 wählte der „Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt“ die Zichorie zum „Gemüse des Jahres“.

Die zugrundeliegende sowie weiterführende Literatur und andere Quellen können gern beim Autor angefragt werden. (botaniktrommel@posteo.de)
