Helko Reschitzki, Moabit

Die letzten Tage wolkenverhangen mit gelegentlichen Schauern. Die Luft- und Wassertemperatur am und im Schlachtensee in der Spitze bei 17 Grad. Am nordwestlichen Ufer hat nach den Stockenten nun auch eine der Blässhuhnfamilien Nachwuchs bekommen. Mit einem kleinen Köpper tauchen die Alten nach Algen, Insekten und Fischen, die Küken zupfen diese dann direkt aus dem Erzeugerschabel – so wie seit Anbeginn des Blässhuhnlebens auf Erden.

Am im und unterm Wasser liegenden Baum, auf dem, wie bei diesem Sonnenstand üblich, diverse Vögel und teils exotische Schildkröten sitzen, komme ich wie immer mit jemandem ins Gespräch. Man redet dort naheliegenderweise über Bauchfarben und Panzerformen und vergleicht diese mit jenen, die man mal irgendwo im Urlaub gesehen hat. Welche importierten und später ausgesetzten Arten da neben der einhemischen Sumpfschildkröte den Kopf herausstrecken, ließ sich aber bislang noch nicht verifizieren. Circa zweihundert Meter weiter badet ein Mann, dessen Hund auf einem Schwimmbrettchen vor ihm hertreibt – ein Jogger und ich rufen ihm die Surfscherze zu, die er wohl von allen Vorbeikommenden hören wird. Ein Graureiher besorgt sich aus einem von Mäusen besetzten Hohlbaum Fressen, seine Pick- und Schlucktechnik sind in ihrer Effektivität faszinierend.

In meiner Bucht ist zunächst niemand, später kommt ein Pärchen hinzu. Wir gleichen unsere Wasservogelnachwuchssichtungen ab. Der Mann sah schon vor Wochen am Südufer junge Haubentaucher und glaubt, dass das frühe Schlüpfen mit der Warmphase Anfang März zusammenhängt. Wer weiß. Die tief zickzackenden Schwalben bestätigen die Wetterprognose der zunehmend dickeren Wolken. Die leichte Brise wird stärker und somit auch der Wellengang. Ich mag das, das Pärchen nicht. Vom Gun-Powder-Wermutkraut-Tee aus der Thermosflasche aufgewärmt, gehts zurück Richtung Moabit. Nach drei Stationen schlagen die ersten Tropfen an die S-Bahnscheiben. Zum Regengeprassel und Schienenbeat lese ich in Schipperges „Die Kranken im Mittelalter“ sehr Interessantes über die Temperierung des menschlichen Daseins: Augenblicke, Stunden, Tage, Monate, Jahre, Jahrhunderte, Zeitalter – eine „rhythmische Zweckmäßigkeit“, die mir durch unsere Flucht in virtuelle Parallelwelten zunehmend aus dem Takt zu geraten scheint.

Komplett analog das Sonntagmittagsspiel von Union 06 – Borussia Pankow auf einem Nebenfeld des Poststadions. Moabit dicht an einem Aufstiegs- und Pankow auf dem Abstiegsrelegationsplatz. Da gehts um jeden Punkt, und fünf Spieltage vor Saisonende auch um die Tordifferenz – was alle total verkrampft: Viel Rumgestochere und unfassbare Fehlpässe, die man selbst in der Herrenbezirksliga sonst kaum sieht. Die Regenschauer, die den Kunstrasen wässern, machen exakt nichts besser. Ich sitze mit zwei Spielermüttern von Borussia auf einer Bank. Nach nicht einmal fünf Minuten hat sich die eine bös mit dem Linienrichter angelegt. Beide schreien sich an (immer ein Alarmzeichen, wenn man dabei irgendwann zum „Sie“ übergeht!) Ein ziemlich verpeilter Typ im Trikot des 1. FC Köln (?!?) mischt sich ein und verschärft den Disput – die ostberliner Soccer Mom fragt, ob es bei uns im Verein ein Drogenproblem gibt. So beginnen Kriege. Auch wenn ich weiß, dass es vollkommen sinnlos ist, versuche ich etwas zu deeskalieren. Erst als ausgerechnet der Sohn der Aufgebrachten einen blöden Elfmeter verursacht, ist sie so abgelenkt, dass sich die Lage bis auf ein paar gelegentlich nachkleckernde Verbaleruptionen beruhigt. Die andere Kickermutti und ich unterhalten uns die ganze Zeit prächtig. Endstand 2:2. Im zum Abpfiff einsetzenden Starkregen durchgeweicht nach Hause. Ein äußerst unterhaltsamer Nachmittag.

