Christoph Sanders, Thalheim
Das befriedigende Gefühl, als am grauen, kühlen Sonntagmorgen der Sencha durch den regenerierenden Körper läuft. Nordwestwind, daher Naturstille. Bei den Robinien und Kastanien zögert die feuchte und frische Luft das Verblühen hinaus. Eberesche und Tulpenbaum konkurrieren Seite an Seite ums Licht. In Böhmen sehe ich die Esche häufig als Alleebaum, ein angenehmes, helles Laub. Der Rhein liefert gerade perfekte Vorlagen für Klimakatastrophenposter. Ich brühe frisches Koffein auf und öffne das neue Orangenmarmeladenglas.

Auf den Straßen fehlen die E-Bike-Kohorten – die mögen es nicht unter 20 Grad und erst recht nicht mit Wind. Kurzbesuch der Galerie auf dem Berge. Die Wienerin Alice Kammerlander zeigt dort gerade echt irre, teilweise papierfeine Keramik. Dazu Gemälde von Dénesh Ghyczy. Die Choreografie einer Ausstellungseröffnung. Pflichtreden (gähn!) als Einstimmung auf die Verkaufsveranstaltung. Das kleine Buffet. Der Wein, der die Stimmung hebt. Das Erwachsenentheater beim Taxieren der Ware. Seitenblicke, man kennt sich. Die Künstler, die betont beiläufig danebenstehen. Der einsetzende Blues, als die letzten Bekannten und Verwandten gegangen sind. Spekulationen, was verkauft wird und was nicht, wer von den Sammlern noch „Platz an der Wand hat“. Immerhin konnte ich mit der Wienerin wunderbar plaudern, was sie vermutlich sehr entspannt hat.

Der Montag ein sehr schöner Tag auf dem Rad. Im Supermarktland erratische Schwankungen. Nachdem der Hersteller meiner neutralen schweizer Btterschokolade kürzlich deren Preis verdoppelte, zogen die anderen Großanbieter von sogenannnter Markenschokolade nach: Innerhalb von zwei Wochen pendelten sich alle bei 199 Cent ein. Was den Kunden zu teuer war. Jetzt beginnen aufs Neue die Preiskämpfe – wo kein Absatz ist, wird auch nicht geordert. Schade, dass wir nur so wenig aus den Hinterzimmern der Lebensmitteldeals hören. Auf den Parties meiner Töchter wird so etwas natürlich null thematisiert. Da geht es, so erzählten sie mir, um TikToks aus der Peer-Group, um die Video-Clips der angesagten Jungs. Da tobt die Geschlechterrivalität ungebremst und (wie eh) verdeckt. Der Rest wird größtenteils über die Seifenoper Kirmes geregelt – meist in unzurechnungsfähigem Zustand. Wer noch Konversation betreiben kann, erprobt und reproduziert die Erfolgsnarrative seiner Eltern: Sonnenuntergangsbilder aus Urlaubsorten und das Vorzeigen des Statuskonsums … Man gibt sich fleißig, sparsam und ordentlich – hier bei uns, im provinziellen Raum, haben die 80er nie aufgehört.
