Helko Reschitzki, Moabit

Die Lufttemperatur zuletzt bis zu 18°C. Sender Wolfsschlucht meldet fürs Schlachtenseewasser komfortable 17-18° – bin jeden Tag etwas länger schwimmen. Die imperialistischen Mandarinenten haben nun den gesamten Bereich um den See erobert – wenn du jeden Tag unauffällig einen Meter weiter watschelst, hast du irgendwann halt das Territorium der anderen besetzt. Ist trotzdem noch genug Platz da, zum Beispiel für brütende Blässhühner, auch wenn das eine Nest in der Süduferbucht zerstört ist – es gab an der Stelle Dauerbeef mit den Stockenten. Bei diesen ist der erste Nachwuchs der Saison da: Fünf winzig kleine Junge, die dicht neben ihrer Mutter schwimmen.

Bin seit ein paar Tagen (an der Seetaille gerade rüber) ans Nordufer gewechselt (was mit dem Sonnenstand meiner neuen Badezeit zu tun hat). Komme dort mit einer interessanten Dame ins Gespräch: Wirbelsäulenspezialistin an der Charité, die vor langer Zeit aus Israel abgeworben wurde. Sie wollte zunächst nicht in die von der Klinik angebotene Wohnung nach Zehlendorf ziehen, weil sie dachte, das „dorf“ stehe für so etwas wie ein Kibbuz. Nun ist sie froh, so schön zu wohnen. Verbringt am See oft ihre Mittagspause. Operiert lieber Kinder, da diese in der Nachversorgung begeistert zeigen, was sie bereits alles wieder können, während Erwachsene oft beklagen, was alles noch nicht geht. Sie sagt, dass „der Deutsche“ überhaupt viel meckert und nicht wenige unzufrieden sind, und das, obwohl es uns hier vergleichsweise gut geht (trotz all der Kritik, zum Beispiel am Gesundheitswesen und der Altenpflege). Ich gebe ihr recht.

Klar, dass wir uns auch über die Vögel vor unserer Nase unterhalten. Und das tolle Filtersystem des Sees, die Heilkraft von Wäldern und Gewässern. Ich kann etwas aus Heinrich Schipperges „Die Kranken im Mittelalter“ erzählen, das ich gerade lese. Über die vielen Russen in Berlin kommen wir auf unsere Kindheiten zu sprechen – sie fragt mich über das Verhältnis der DDR-Bürger zu den Sowjets aus. Wir vergleichen das mit den US-Besatzern. Ich erzähle, wie besonders es war, ab und an einen Streifen Wrigley’s Spearmint zu kauen oder eine Apfelsine zu essen. Dass man gute (d.h. im DDR-Fall echte) Schokolade genüsslich und lange im Mund schmelzen ließ, kennt sie auch noch. Und heutzutage quellen die Supermarktregale über (REWE: 65 Sorten Senf!) – und die meisten motzen. Uns fehlt Demut. Und der Vergleich zu anderen Ländern. Interessanterweise ordnet sie mich herkunftsmäßig sofort als eine Art Ausländer ein, viele der Westdeutschen, die ich so kennenlerne, machen das nicht. Da sie noch Visiten auf der Kinderstation hat, muss sie sich dann wieder aufs Rad schwingen. Sehr nette Verabschiedung (sie bedankt sich nochmal für meinen Tipp mit den selbstbefüllbaren Teebeuteln). Wir hoffen beide, dass wir unser Gespräch einmal fortsetzen werden.
