Christoph Sanders, Thalheim
Kühler blauer Morgen. Komme gerade von der Wiese zurück, auf der synchron ungefähr viertausend Löwenzahne erblühen. Nachdem die Häschen dran waren, hab auch ich eine Portion Blätter verdrückt – herrlich bitter, das zieht im Gaumen richtig nach.

Gestern schwebte überm Garten eine Bienenwolke – ein ungeheures Geräusch! Zum Glück kannten wir das alle schon, bekamen also keine Panik. Der Schwarm formierte sich an einem Baumstamm im Kindergarten gegenüber. Während tausende Immen die Astdicke verdoppelten, schwirrten die anderen paar tausend kreisend in der Luft – wie die Elektronen um den Kern, erratisch aber in definierter Distanz. Wir beobachteten das aus fünf Metern – mit ausführlichen Erklärungen aus der Bienen AG der Klasse 5: Die Tiere sind gerade mit sich selbst und ihrer neuen Staatenbildung beschäftigt. Wir spekulierten, ob der Schwarm die Nacht auf dem Kinderspielplatz verbringen und dann am Morgen Kreischanfälle auslösen würde. Aber wie ein Spuk war nach einer Viertelstunde alles vorbei – das Volk hatte für seine junge Königin einen passenden Ort gefunden.

Tag der Regeneration. Reifenflicken, Nabenfetten, Konen einstellen. Letztere eine der schönsten Arbeiten, die Feingefühl beim Kontern verlangt – danach sitzt alles wieder für mindestens ein Jahr. Viele Freizeitflieger in der Luft. Ein Akrobat übt Rollen und Loopings auf einer alten Kunstflugmaschine mit auffälligem Flügelmuster. Zwei Weltkriegsveteranen kommen von einem Treffen zurück. Eine alte Airbusmaschine in gebrochenem Weiß und ohne jegliche Kennung überfliegt das Haus. In mittlerer Höhe ein Geschäftsjet im Anflug auf einen der lokalen Flughäfen: All das bietet heute der blaue Himmel. Darunter summt und zwitschert es. Wenn Elstern und Tauben sich um ein Nest streiten, kann es sehr laut werden.

Nach Lachs und Paprikazwiebelnudeln erneutes Reifenflicken – eigentlich ist das Winterarbeit. Am Nachmittag ein Abenteuerbuch aus dem Caritas-Eimer gefischt: Drei Jungs aus Köln werden 1947 zu Erntehelfern und merken, dass sie vom schwäbischen Bauern nicht satt gemacht werden, sondern ausgenutzt. Sie treten den Rückmarsch an. Könnte was für meine Zwölfjährige sein. Ich selbst legte gerade nach einer grottigen Waldkindbeschreibung Christian Krachts „Air“ beiseite (‚Sie war ohne Schuhe, sie war ein einfaches Mädchen, sie störte die Armut nicht, sie kannte nichts anderes.‘) Der ganze Roman ist viel zu schlecht um ironisch zu sein. Lieber schnell zurück zu Bukowski, der mit „Hollywood“ ein streckenweise großes, selbstreflektiertes Buch geschrieben hat. Der Verhandlungsstil der Produzenten, die Anwälte, die Telefonate und ungedeckten Schecks: alles ziemlich trumpesk.
Gegen Abend einen Streifen Gras gemäht – so ist die Wiese über den Sommer zugänglich.
