Helko Reschitzki, Moabit
Nachdem das inhäusige Tagwerk verrichtet ist, gehts raus Richtung Schlachtensee. Auf dem U-Bahnhof Turmstraße fragt eine auf ihrem Rollator sitzende Dame ausgerechnet den dortigen Dealer, ob er ihr gleich beim Einsteigen helfen könne. Viel Sprachgewirr. Als er sagt, dass er aus Kamerun komme, wiederholt sie ihre Bitte in fließendem Französisch. Er hatte das alles schon vorher verstanden und auch signalisiert. Egal, Hauptsache, er hilft ihr. Was er nett tut. Da wegen des Abrisses einer Autobahnbrücke die Ringbahn zum Teil gesperrt ist, muss ich eine andere Strecke fahren. Zum Glück kommt man in Berlin trotzdem überall hin, im Hinterland wär ich jetzt vollkommen aufgeschmissen (ohne Auto). Ich lese in der Bahn Knausgårds Buch über Munch weiter. Interessante Gedanken, konzentrierte Sprache.

23°, pralle Sonne, blauer Himmel. Die Wiesen am Südufer des Sees voller Kids. Ferienzeit. Zwei Mädchen führen ein Kaninchen aus. Andere ihren Hund. In meiner Bucht fünf vielleicht Vierzehnjährige, die rauchen, klönen, Karten spielen und dabei coole Musik hören. Als „Killing Me Softly“ von den Fugees erklingt, schickt uns die vor sieben Wochen verstorbene Roberta Flack einen extra Sonnenstrahl. Und gerade als ich denke, dass es wohl kaum schöner sein könnte, kommt Fleetwood Mac! Teenies, die rauchen, Karten spielen und dabei Fleetwood Mac hören – mir ist um unsere Zukunft nicht bang. Ich muss an den Moment denken, als ich in genau dem Alter in der Disko im Klubhaus der Eisenbahner „Thomas Müntzer“ in Parchim zum ersten Mal die Stimme von Stevie Nicks hörte und mich nicht nur in diese verliebte (Stimme und Frau – bis heute!!!), sondern auch irgendetwas begriff, das mit dem Leben und dem Tod zu tun hat, mit dem, was übers Irdische hinausgeht. Und das mich bis heute trägt.

Ich bin etwas länger im Wasser als am Sonntag und schwimm sogar ne Runde. Was die Kids inspiriert, selbiges zu tun. Dolles Gejuchze! Klar. (Sender Wolfsschlucht vermeldet 13,85° fürs H2O.) Plötzlich ist auch der alte Baumkletterer da; er grüßt maximal lässig von seinem Stammbaumstamm, ich grüße zurück. Zitronenfalter und Insekten. Tee und Sonne. Aufgewärmt weiter. Ich sehe ein paar andere Bader, Ruderbootfahrer und Stehpaddler. Ein Halbdutzend Hormonteufel hat den Baum mit dem dicken Seil erklettert und macht den Tarzan plus Arschbombe. Ein Bollerwagen voller Picknickzeug rumpelt über den staubigen Weg. Ein Mann pflügt mit seinem ferngesteuerten Bötchen durchs Wasser. Die Blässhühner, Stockenten und Schwäne lassen sich davon nicht aus ihrer Ruhe bringen. Hinterm Ufergehölz entdecke ich ein Mandarinentenmännchen. Die Farben begeistern mich jedesmal aufs Neue. Alle Menschen haben dieses besondere Grinsen im Gesicht, das sie hier immer haben, wenn die tagdunkle Zeit endgültig vorbei ist. Wie sangen Pannach & Kunert: „Berlin, dein Winter ist kein Spaß“. Da hammse recht. Vorbei, vorbei …

Zuhause lege ich „Beach Party“ von den Marine Girls auf, danach Aztec Camera. Dazu esse ich frisches Brot mit Harzer Käse. Ach, gehts mir gut.
