Walter Kintzel, Parchim
Wie starb man vor 200 Jahren?

Wenden wir uns heute den Todesursachen unserer Vorfahren zu. Dafür wurden die Kirchenbuchduplikate der evangelischen Parochie Meseritz in den Jahren 1824-1835 ausgewertet. 1793 fiel Meseritz mit der zweiten polnischen Teilung an Preußen; 1818 entstand dann durch eine Neugliederung der Kreis Meseritz im Regierungsbezirk Posen in der gleichnamigen Provinz. Zu diesem gehörten Meseritz, Meseritz Vorstadt, Schloß Vorwerk, Georgsdorf, Winnitze, Kaintsch, Nipter, Sorge, Kupfermühle, Sorge sowie Heidemühle, die bis 1945 allesamt deutsch waren. Aus Meseritz wurde dann das polnische Międzyrzecz, heute eine Stadt in der Woiwodschaft Lebus.
In der Stadt Meseritz erblickte ich 1936 das Licht der Welt – wie bereits meine Brüder Karl und Hans-Joachim als Hausgeburt in der Kirchstraße 16 und mit Hilfe einer Hebamme, was damals üblich war.
In den Kirchenbüchern wurden die Begriffe „Todesursache“ und „Krankheit“ synonym verwendet. Manche Bezeichnung mag für zeitgenössische Ohren mitunter etwas eigenwillig und schrullig klingen, wobei nicht nachvollziehen war, ob die eine oder andere Diagnose von den Pastoren und Küstern anders aufgeschrieben wurde, als von den Ärzten benannt. In Klammern ist der jeweilige heute gebräuchliche Begriff angeführt, so dieser zu eruieren war.
Todesursachen der Einwohner von Meseritz 1824-1835
- Abzährung, Auszährung, Brustkrankheit (Krankheitsbilder mit Kräfteverfall und starkem Untergewicht durch z.B. Tuberkulose, Krebs oder Schwindsucht)
- Abzährungsfieber (Tuberkulose mit Fieber)
- Altersschwäche und Alterswegen (Altersschwäche)
- am Ausbleiben der Natur (könnte sich auf unterschiedfliche gesundheitliche Zustände beziehen, die damals nicht genau diagnostiziert werden konnten, z.B. hormonelle Störungen, schwere Mangelernährung, Krankheiten im Zusammenhang mit der Menstruation und den Wechseljahren)
- an den Folgen des Harnzwanges (Harnwegsinfektion)
- Ausschlag (Symptom, mehrere Krankheiten möglich)
- Ausschweifung im Trinken (Äthylismus, Dipsomanie, Potomanie, Alkoholismus)
- Auswuchs am Halse (evtl. Tumor und Schilddrüsenerkrankung)
- Auszährung (Krankheitsbilder mit Kräfteverfall und starkem Untergewicht, z. B. Tuberkulose, Krebs oder Schwindsucht)
- Blasenkrampf (wahrscheinlich Tenesmus vesicae = Harndrang)
- Blutsturz (Bluterbrechen, Blutdurchfall; häufig als Folge eines Magengeschwürs genannt)
- Brustentzündung (Mastitis; während der Stillzeit durch Bakterien hervorgerufen)
- Brustkrampf (Krampf der Muskulatur mit Atemnot)
- Brustverletzung (durch Unfall oder Gewalteinwirkung)
- Brustwassersucht (wahrscheinlich Serothorax)
- Cholera
- Darmentzündung (Enteritis)
- Darmgicht (Erbrechen von Kot)
- Delirium tremens (infolge von Alkohololismus etc.)
- Folgen der Hungerkur (Mangelernährung)
- Durchfall
- Durchlauf (Durchfall, Ruhr)
- Dysenterie (Ruhr = entzündliche Erkrankung des Dickdarms)
- Englische Krankheit (Rachitis)
- Entbindungsfolgen (Kindbettfieber, Infektionen der Geburtswege u.a.)
- Erkältung (Infekt der oberen Atemwege; evtl. auch Influenza)
- Ertrinken
- Fallende Sucht (Fallsucht = Epilepsie)
- Faulfieber und Brand (Fleckfieber oder Flecktyphus; bakterielle Infektion, die v.a. durch die Kleiderlaus übertragen wird)
- Fieber (Symptom, mehrere Krankheiten möglich; evtl. auch gebraucht bei Malaria)
- Gehirnentzündung und Kopfentzündung (evtl. Meningitis und Enzephalitis)
- Gelbsucht (Hepatitis)
- Geschwulst (Tumor im weitesten Sinn, auch Kropf, Überbein)
- Gicht (Arthritis urica, Stoffwechselerkrankung mit akuten Entzündungen der Gelenke; evtl. auch bei Rheuma angeführt)
- Gliederverlähmung (Parese)
- Halsbräune (Diphtherie)
- Halsentzündung (Mandelentzündung = Tonsillitis)
- Halsschwindsucht (Auszehrung infolge von Kehlkopf- oder Luftröhrentuberkulose)
- hitziges Fieber (Typhus)
- hitziges Nervenfieber (infolge einer Infektion)
- Keuchhusten und Stickhusten (Pertussis)
- Kolik und Unterleibsverhärtung (Symptom, mehrere Krankheiten möglich)
- Kopfkrampf und Krämpfe (Epilepsie = zerebrale Anfallsleiden)
- Krampffluß (evtl. Schlaganfall)
- Krampfhusten (Krupp)
- Krebs (bösartige Tumore)
- Lungenentzündung
- Lungengeschwür (Lungentumor)
- Lungensucht (mehrere Krankheiten möglich, u.a. Tuberkulose)
- Magenkrebs
- Menschenblattern und Blattern (Pocken)
- Nervenfieber (Typhus und Ruhr)
- Nervenkrankheit (evtl. Polyneuropathie)
- Nervenschlag, an einem erhaltenen Schlag und an Schlages (wahrscheinlich Schlaganfall)
- Ohrengeschwür (Furunkel im Ohr)
- Rose (Entzündung mit Hautrötung)
- Röteln
- Rückenmarkdorn (unklar)
- Ruhr
- Scharlach
- Schlagfluß (in alten Quellen: plötzliche, teilweise oder vollständige Lähmung; Schlaganfall, Gehirnblutung etc.)
- Schleichendes Fieber (Rezidivierendes Fieber)
- Schnupfenfieber (Influenza)
- Schwachgeboren (nicht lebensfähiger Säugling)
- Schwachheit (nicht zu spezifizieren)
- Schwindsucht (Tuberkulose)
- Schwulst (wahrscheinlich Geschwulst, Tumor)
- Selbstmord (Suizid)
- Stickfluß (Bronchitis, Asthma oder Lungenödem)
- Unterleibsentzündung und Unterleibserkrankung (Entzündung der Gebärmutter, Eierstöcke oder Eileiter)
- Verstopfung (Symptom, mehrere Krankheiten möglich)
- Wasserbruch (Hydrozele)
- Wassergeschwulst (unklar)
- Wassersucht (Ödem, Hydrops, Akasaka)
- Zahndurchbruch, Zahnen, Zähnen
- Zähnenfieber
- Zahnkrämpfe

Die exakte Einwohnerzahl Meseritz‘ in den Jahren 1824-1835 lässt sich nicht feststellen; 1800 waren 3100 Kreisansässige notiert, 1849 dann 4853. Im Betrachtungszeitraum starben 1351 Menschen. Als häufigste Todesursache ist die Choleraepidemie von 1831 (mit 189 Fällen) erfasst, es folgen Krämpfe, die als Oberbegriff für mehrere Diagnosen stehen (184), Altersschwäche (96) und Abzährung (84).
Als singuläre Todesursachen sind beispielsweise der Ochsenangriff verzeichnet, der den Kuhhirten Andreas Bloch zu Tode brachte, das Feuer in der Mühle, das den Tuchmachermeister Johann Behnisch tötete, der Pferdeschlag, dem der Kutscher Christian Janisch erlag oder die rutschende Kiste, die Beata Luise Kramm erschlug.
Die Säuglings- und Kindersterblichkeit bewegte sich in der zu jener Zeit üblichen Größenordnung – so starben in den elf Jahren 256 Säuglinge (0 bis 1 Jahr) und 299 Kinder (1 bis 10 Jahre).
Als älteste Bewohnerin ist die Tuchmacherwitwe Anna Maria Günther aufgeführt, die mit 90 Jahren dahinschied. 39 Personen erreichten das 75. Lebensjahr, wovon 23 Frauen waren, woraus man schließen kann, dass das weibliche Geschlecht bereits damals eine höhere Lebenserwartung hatte – worauf auch der hohe Anteil an Witwen hinweist.
Die allgemeine Lebenserwartung wurde erst mit Veröffentlichung der Ersten allgemeinen Sterbetafel von 1871-1881 für das damalige Reichsgebiet erfasst – sie betrug in der ersten Dekade nach der Reichsgründung bei Geburt für Frauen 38,4 Jahre und für Männer 35,6 Jahre, niedrige Werte, die durch die hohe Säuglinssterblichkeit bedingt sind. Das 60. Lebensjahr erreichten in dieser Zeit rund 36% der Frauen und 31% der Männer. Heutzutage liegt die durchnittliche Lebenserwartung bei Geburt bei den Frauen hierzulande bei 83 Jahren und bei den Männern bei 78,2 Jahren.
Die zugrundeliegende sowie weiterführende Literatur und andere Quellen können gern beim Autor angefragt werden. (botaniktrommel@posteo.de)
