Christoph Sanders, Thalheim
Ein zart bewölkter Morgen. Es ist wärmer geworden – das sind null Grad, ohne Wind. Eine orangene Sonne grüßt die letzten Tage der kleinen Hyazinthe. Klemperers Bruckner 4 hebt an.

Mittagsmeldung aus dem Friedensgarten: Deutlich aktivere Vögel bei 5 Grad plus. Inmitten eines Schwarms Buchfinken einen Bergfinken gesichtet. Dank Zehnfach-Glas konnte ich diesen sehr genau beobachten, aber erst Vogelbuch Nummer 2 brachte Gewissheit: die rostorangebraune Winterfärbung, das deutlich dunklere schwarz-weiße Gefieder. Spannend für mich.
Weiter mit Post, Violine und Kokoschkas „Mein Leben“. Ein Vieh, wie der Österreicher anerkennend sagt. Höhepunkt, als er sich nach der Trennung eine lebensgroße Fetischpuppe von Alma Mahler bastelt, der dann im Dresdner Saufgelage der Kopf abgerissen wird. Die großbürgerliche Spielwiese der Kunst und Musik hörte nach 1918 nicht sogleich auf. Mit Cassirer beginnt für Kokoschka die typische Galeristenära. Vorher gab es Aufträge, mal hier, mal da. Jetzt produzierst du nach Vertrag für einen Markt. Das bringt Sicherheit aber auch Nöte – dir muss immer etwas einfallen. Das Leben 1900 bis 1950 turbulent. Interessante Verbindungen: Loos – Gropius – van der Rohe. Die Amerikaner schon im Ersten Krieg Waffenlieferant für die Italiener. Kokoschkas Trupp merkt, wie die ihre neuen Geschütze an ihnen erproben. Shellshock am Isonzo.
Und heute? Hört man die Alarmschreie der Berliner Kulturszene. Vor einhundert Jahren gab es so etwas nicht. Da existierten autonome Arbeiterbewegungen, fette Inflationsgewinner und Grosz, aber keine verfilzten Scheinbeschäftigungen. Geht in die Problembezirke, da warten 10.000 Berliner, die kaum Lesen oder Schreiben können, deren Kinder in der Vierten Klasse keinen einzigen deutschen Satz aufs Papier bringen.
