Walter Kintzel, Parchim
Der Wald im Spiegel der Pfarrberichte

Im Jahre 1703/04 waren auf Befehl des Herzogs Friedrich Wilhelm im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin die Pastoren aufgefordert worden, über ihre Gemeinden zu berichten. Diese Aufzeichnungen über das Kirchspiel (die „Beichtkinderverzeichnisse“) geben ein ziemlich gutes Bild der Bevölkerung zwei Generationen nach dem Dreißigjährigen Krieg ab, sagen uns etwas über die Altersstruktur, führen Berufe und andere Gegebenheiten an. Im Zentrum unserer Aufmerksankeit stehen hierbei jene Aussagen, die sich auf den Wald und Naturschutz beziehen und für das Verständnis der Entstehung unserer heutigen Kulturlandschaft unerlässlich sind. Es hing vom jeweiligen Pastor ab, wie umfassend und sorgfältig er berichtete, die Angaben sind daher als Minimum zu betrachten. Wir konzentrieren uns exemplarisch auf die Aufzeichnungen aus dem Städtedreieck Neustadt/Glewe, Parchim, Lübz in Südmecklenburg.
Kommen wir zunächst zu den Hudewäldern, also den Wäldern, die zur Viehhaltung genutzt wurden. Als es die Stallfütterung noch nicht gab, wurden das Vieh teilweise in den Wald getrieben, insbesondere zur Herbstzeit die Schweine, die vor allem Eicheln und Bucheckern fraßen. Diese „Feistung“ betrug etwa 70 Tage, jedes Tier verzehrte täglich ungefähr 16 Liter Bucheckern oder 12 Liter Eicheln. In den Unterlagen sind Mastschweine recht oft erwähnt, so schrieb zum Beispiel der Pastor aus Lancken: „Noch habe auf hiesigem Felde eine Pfarrhöltzung, daraus mein nothdürftiges Brennholtz und freye Mast, so viel Schweine darinnen fett gemacht werden können, bey voller Eichenmast 12, bey voller Buchenmast aber, welches doch selten ist, woll 29 a 30 Stück.“ Ähnliches wird aus Grebbin berichtet: „Wenn Mastung ist, soll der Pastor ins Grabauer Holtz 6 Schweine frey jagen.“ Nicht nur dem Pfarrer, sondern auch anderen Berufen stand das Recht der Hude zu; dazu vermeldete der Pastor aus Lübz: „Der Rector Scholae, der Organist, so auch Schulcollega, die beyden Vorsteher item ein jeder ein Mastschwein.“ In dem Zusammenhang werden auch Berufe mitgeteilt: Kuhhirte, Schweinehirtsche und Schäfer gibt es fast in jedem Dorf; aber auch in mancher Stadt, z.B. in Lübz eine Gänsehirtin. Wobei die letzten beiden natürlich nicht im Wald hüteten. Gefahrlos muss das alles nicht gewesen sein, denn zu jener Zeit kamen noch Wölfe in der beschriebenen Gegend vor.

Notizen über den Wolf im von uns betrachteten Gebiet sind rar, auch wenn zwei Dorfnamen auf ihn verweisen: Wulfsahl (Wolfshöhle) und Welzin (Wolfsgrube). Interessant, was der Barkower Pastor am 23. Mai 1701 über den Bauern Johann Brockmann aus Broock schreibt: „Dieser Mann ist dieses Vorjahr sehr unglücklich worden, da die Frau eine gebrechliche Krankheit bekomen, er selbst Schaden am Bein gekriegt und der Wolf ihm drey Pferde tot gebißen.“ Dies ist die einzige bekannte Mitteilung über Wölfe in der Lübzer Gegend. Ähnliches berichtet der Pfarrer aus Dobbin bei Karow, der 1663 notiert, er „wohne von Dieben, Wölfen und Hunden ganz unsicher.“
In einem Zeitungsartikel wird „eine Wolfs-Jagd bei Parchim“ erwähnt – Hintergrund ist eine Netztreibjagd im Sonnenberg. Am 12.02. 1672 teilten der Küchenmeister Hermann Hertel und der Forstmeister Wolf Conrad Hyso zu Neustadt dem Parchimer Rat mit, dass sie in der laufenden Woche in fürstlichem Auftrag eine Wolfsjagd abhalten wollen. Die Netze sollen oberhalb des Steinbecker Feldes aufgestellt werden, zum Durchtreiben des Sonnenberges möge die Stadt 100 oder mehr Treiber stellen. Nach einigen Querelen, was die Zahl der Treiber anging, fand die Jagd dann wie geplant am 16. Februar statt.
Zudem kann man den Pfarrberichten entnehmen, dass zwischen Hude und anderer Weide unterschieden wurde – so schrieb der Pastor aus Benthen: „Dazu habe in der Mast 4 Schweine frei zu Weisin, zu Passau 2 und eines zu Benthen. Vieh haben Hude und Weyde frei, so viel ich halten und ausfuttern kann. Bin auch nicht gehalten meine Schafe, wiewoll deswegen öfters harte Anfechtung gehabt in die Hürte zu treiben.“
Desöfteren wird genau aufgeschlüsselt, wer wieviel Brennholz zu bekommen hatte. Offenbar war der Lübzer Pastor nicht mit seiner Zuteilung zufrieden, denn er schrieb: „Nothdürftig Brennholtz wird uns vom Holtzvogt angewiesen.“ Maß für das Brennholz war ein Baum: „Ein jeder Provisor 1 Baum Brennholtz. Provisores: Derer sind 2, so aus der Gemeine dazu verordnet, die auch solvendo seyn und als Jurat die Zinsen jährlich auf Martini einheben.“ Für den Transport des Holzes hatte in vielen Fällen der Pastor etwas auszugeben, als Beispiel sei Grebbin gewählt: „Wenn der Pastor Holtz fahren läßt, gibt er denen Arbeitern Eßen und Trinken. Die Koßebader fahren jeder 1 Fuder Holtz aus dem Grabauer Holtze und 1 Fuder Sträuche. Bey jedem Wagen wird ein Pott Bier gegeben. Die Wötener fahren auch aus dem Grabauer Holtz ein Fuder und ein Fuder Sträuche, kriegen auch bei jedem Wagen ein Pott Bier. Die Grabbinschen fahren aus dem Grabbinschen Holtze, daraus kriegt der Pastor eine Eiche zu Pfahlholtz; denn weil der Pastor alle seine Zäune, sowoll im Felde als ümb die Wedeme, selber halten muß, so wird ihm das Pfahlholtz dazu gegeben.“ Zur Ehre der Altvorderen muss gesagt werden, dass das Bier damals ein Kräuterbier war und wahrlich nur
zum Löschen des Durstes benutzt wurde.

Neben Brennholz sind auch andere Verwendungsmöglichkeiten angeführt: „Von jeder Stätte zu Spornitz und Dutschau 3 Stiegen Hoppen-Stacken“ (an Abgaben). Den Hopfen, den wir heute finden, ist sicher oft nur als verwilderte Kulturpflanze anzusprechen. Die Humusschicht aus den Nadelwäldern wurde als Einstreu genutzt, wozu die Heide geplaggt wurde: „Zudem gibt in Slawe, Groß und Lüden Godems ein Höfener von jedem Hof jährlich 6 Ostereyer, so auch ein jeder Höfener in beiden Godemsen von seinem Hof 1 Fuder Holz und 1 Fuder Heideplaggen, welches aus Poltnitz vor Zeiten auch gegeben ist, itzo aber die Domini nicht wollen geben laßen.“
In verschiedenen Berichten wird der Beruf des „Wildschützen“ und des „Holtzvogt“ erwähnt, aus Neustadt/Glewe z.B. „1 Wildschütz, 3 Holzflößer und 2 Holzhauer.“
Ehe der Weg zu einer geregelten Forstwirtschaft beschritten wurde, hatte der Wald noch die Holzentnahme für die Glashütten und der Teerschwelereien zu überstehen, beide Produktionsmaßnahmen brauchten sehr viel Holz. Eine Glashütte, die auf 8 Jahre Produktion angelegt war, benötigte 28 000 Raummeter! Wir können uns gut vorstellen, wie darunter der Wald litt. Insbesondere die Buche war ein begehrtes Objekt, da aus ihrer Asche Chemikalien gewonnen wurden, die man zur Glasherstellung benötigte. Das Holz lieferte eine hohe und gleichmäßige Wärme, Buchenasche vertrug zudem die größte Sandbeimengung. Die holzintensive Glasherstellung ist eine der Ursachen für die späteren Kiefernmonokulturen.
Dass eine Glashütte nur eine gewisse Zeit betrieben wurde, kann man ebenfalls aus den Pfarrakten entnehmen. Nach Marnitz waren auch die Leute aus der Griebower Glashütte eingepfarrt, dazu hieß es: „Hieher gehöret auch die Gribowsche Glashütte, worauf die Leute mir noch nicht insgesamt bekannt, weyl sie erst angeleget, doch schätze ich sie präter propter auf 30 Personen.“ Sehr genau berichtete der Pastor aus Slate : „Auf der Poltnizzer Glasehütten sind zuweilen, nachdem sie im Gange ist oder stille lieget, viele oder wenige; kommen überdem auch gar selten anhero zur Kirchen. Itzo sollen dem Vernehmen nach sich daselbst aufhalten 1 Glasemeister, 2 Kesseljungen, 2 Aufbläser 2 Werker, 2 Strecker, 2 Hollgläser, 2 Scheurer, 1 Holzfahrer, 1 Kistenmacher, 2 Holzhacker.“ Der Begriff des Teerofens hat sich sogar in einem Ortsnamen niedergeschlagen: Wooster Teerofen am herrlich gelegenen Paschen See in der Schwinzer Heide nordöstlich von Goldberg.
1837 gab es in den Großherzogtümern Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz insgesamt 35 Teeröfen. Ein Ofen konnte bis zu 45 Raummeter Holz aufnehmen, weitere 25 Raummeter Abfallholz wurden zum Anheizen und Feuern benutzt. Von Mitte April bis zum Herbst schaffte der Teerschweler drei bis vier Brände. Nicht weit von Wooster Teerofen stand bei Hahnenhorst auch eine Glashütte. So veränderte der Mensch in einem langen Prozeß der Entnahme organischen Materials die Wooster Heide. Zunächst war sie eine Kiefernheide, die horstweise mit Eichen und Buchen durchstanden war, danach folgte die Monokultur mit den bekannten Kalamitäten: 1900 Kahlfraß durch den Kiefernspanner, 1907 starkes Auftreten der Nonne, 1917/18 Vernichtung großer Teile durch Spannerfraß, der 1929 wiederum auftrat. Übrigens versuchte man zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Revieren Jellen und Schwinz eine biologische Schädlingsbekämpfung, indem man wieder Schweine in den Wald trieb, um dadurch die Larven des Kiefernspanners zu vernichten.
Ausgangspunkt der Betrachtungen waren jene Pfarrberichte aus den Jahren 1703/1704, die für die Landschaftsforschung von Bedeutung sind. Rund 50 Jahre später hatten die Pastoren wieder zu berichten, wiederum aufschlussreich – doch davon einmal später.
Die zugrundeliegende sowie weiterführende Literatur und andere Quellen können gern beim Autor angefragt werden. (botaniktrommel@posteo.de)
